Ingrit Kremms (Name von der Redaktion geändert), Freiheitskämpferin mit gesamtdeutschen Hintergrund, hat eigentlich tolle Nachbarn. Nur über eine Nachbarin regt sie sich mächtig auf. Die weckt in ihr alte Erinnerungen. Was damals drüben „inoffiziell” ablief, läuft hier und jetzt unverfroren öffentlich. Und fördert nicht gerade die nachbarschaftliche Einheit. Aber lest selbst, was sie uns geschrieben hat.
Ach, was haben wir voll Abscheu und Ekel auf den Stasi-Beamten im Film „Das Leben der Anderen“ geblickt. Diesen Pedanten, der sich heimlich im Leben zweier Menschen einnistet, sie bespitzelt und an jedem noch so privaten Moment teilnimmt. Immerhin, am Ende entpuppt er sich doch als moralischer Mensch, wenn auch viel zu spät. So viel Mühe macht sich meine Nachbarin nicht. Aufgewachsen in einem freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat trägt sie das Spanner- und Spitzelgen tief in ihrem Herzen. Das muss der Neid ihr schon lassen - trotz Berufstätigkeit engagiert sie sich täglich in der Überwachung ihrer Nachbarschaft. Schon morgens weiß sie, wer pünktlich das Haus verlassen hat, ob die schlampige Gattin von gegenüber ihrem Mann das Hemd korrekt gebügelt hat, der widerliche Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Cola zum Frühstück leert, die alleinstehende Mutter zu viel Make-up trägt oder der Pflegedienst des Senioren von nebenan falsch geparkt hat.
Woher ich das alles weiß? Weil unser menschgewordener Wachturm jeden, ob er will oder nicht, an seinen Beobachtungen teilhaben lässt. So erfährt man dann von unserer Spitzelin auch, dass sie die vergangene Nacht kaum geschlafen hat, weil sie die Sozialwohnungen observiert hat, nachdem laute Gesprächsgeräusche zu hören waren. Man weiß ja nie was da alles so vorgeht, ich zitiere, und am Ende bekommt man dann den Polizeieinsatz gar nicht mit. Welch entsetzliche Vorstellung. Überhaupt ist man ja mit der Stadtpolizei auf du und du. Als aufmerksamer und rechtschaffender Bürger meldet man schließlich nachbarschaftliche Regelverstöße wie das Feiern von 60sten Geburtstagen Samstag nach 22 Uhr oder das versäumte Kehren der „Gass“ umgehend. Bedauerlicherweise kam die alte Dame aus Nr. 4, die im Winter auf der Treppe zu ihrem Haus gestolpert war und knapp sechs Stunden mit Oberschenkelhalsbruch auf dem Boden lag, nicht zur Meldung. Und dabei war die Sicht auf den Unfallbereich tadellos. Wollen wir hoffen, dass unsere Mata Hari nur verhindert war. Vielleicht beim Frisör, denn da kriegt man ja auch so Einiges zu hören.
Was meint Ihr? Ist das noch normale Neugier? Oder ist der Stasi-Vergleich berechtigt? Wie würdet Ihr Euch verhalten? Ansprechen oder ignorieren? Wenn Ihr auch einen besonderen Nachbarn habt oder eine Nachbarin, dann mailt uns. Geschichten, die uns gefallen, veröffentlichen wir - auf Wunsch auch unter einem Decknamen..
nebendran@frizzmag.de