©Thea Nivea
Thea Nivea Glosse
Thea Nivea
Hi, ich bin Thea Nivea. Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de
Stellt euch vor, sag ich, jeder wählt die Partei, die bei ihm beim Wahl-O-Mat ganz oben steht. Egal, ob sie ne Chance hat oder nicht, fragt meine Mutter. Sie hätte ja ne Chance, sagt mein Vater, weil es bei der Europawahl keine 5-Prozent-Hürde gibt. Warum eigentlich nicht, fragt meine Mutter. Also, sag ich, bis 2009 gabs die auch bei Europawahlen, jedenfalls in Deutschland, weil jedes Land das selbst entscheiden kann. Korrekt, sagt mein Vater. Dann, sag ich, gabs zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts und die Sperrklausel wurde zur Europawahl 2014 aufgehoben. Diese Chance, sagt mein Vater, hat sich Martin Sonneborn dann nicht entgehen lassen. Das ist der von der Partei DIE PARTEI, sag ich. Danke, ich bin nicht doof, sagt meine Mutter, der ist von der heute-show ins EU-Parlament konvertiert. So ähnlich, sag ich, und seine Partei hat beim Bundesverfassungsgericht gegen die Wiedereinführung der Sperrklausel geklagt. Die soll es nämlich, sagt mein Vater, ab 2029 wieder geben. Und diesmal, sag ich, sieht das Gericht keine Probleme. Wieso nicht, fragt meine Mutter. Weil, sagt mein Vater, die Europäische Union selbst dem Grundsatz der Demokratie verpflichtet und die deutsche Verfassungsidentität damit nicht verletzt sei. Und die berühmte Lehre aus Weimar, sag ich, die Zersplitterung durch den Einzug von Kleinstparteien sei ein echtes Problem für die Handlungsfähigkeit, auch des Europaparlaments. Wahrscheinlich ist das Problem eher, sagt meine Mutter, dass der Sonneborn so nervt. Bestimmt auch, sag ich, und nicht nur der. Und wie gehts jetzt weiter, fragt meine Mutter. Weil die EU das vereinheitlichen will, sag ich, hatte sie ihre Mitgliedstaaten schon 2018 verpflichtet, eine Sperrklausel zwischen 2 und 5 Prozent einzuführen. 25 von 27 EU-Staaten haben schon zugestimmt, sagt mein Vater, Deutschland stimmt jetzt zu, fehlt nur noch Spanien. Wie hoch genau wird dann die Hürde, fragt meine Mutter. Steht noch nicht fest, sagt mein Vater. Fest steht aber, sag ich, dass es diesmal letztmals keine Hürde gibt. Heißt, sagt meine Mutter, die Kleinen haben große Chancen. Genau, sag ich, du brauchst ungefähr 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen für einen Sitz im Europaparlament. Das waren, sagt mein Vater, 2014 rund 150.000 und 2019 rund 190.000 Stimmen. Weil, sag ich, die Wahlbeteiligung 2019 bei knapp über 60 und 2014 knapp unter 50 Prozent war. Heißt also, sagt meine Mutter, je weniger wählen gehen, desto größer sind die Chancen für die Kleinen. Ja, sagt mein Vater, du kannst guten Gewissens die Tierschutzpartei wählen. Wieso die Tierschutzpartei, frag ich. Die war bei mir beim Wahl-O-Mat ganz oben, sagt meine Mutter, auch schon bei der Bundestagswahl und zuletzt bei der Landtagswahl. Ich geb zu, sag ich, bei mir auch, knapp, aber trotzdem. Bei mir nicht, sagt mein Vater, ich bin eher stolz auf mein AfD-Ergebnis, keine 10 Prozent Übereinstimmung. Bei mir auch, sagt meine Mutter. Und bei mir auch, sag ich. Na, sagt meine Mutter, da sind wir uns ja mal einig. Und wir sind uns einig, sagt mein Vater, dass viele wählen gehen müssen. Ja, sag ich, weil es sonst zu leicht wird für rechte Arschlöcher. Du spielst auf das Volt-Plakat an, fragt mein Vater. Ja, sag ich: Sei kein Arschloch, deine Stimme gegen Rechtsextremismus. Ich finde das sprachlich sehr heftig, das Trau-dich-Plakat von denen gefällt mir besser, sagt meine Mutter, und wenn man Grün wählt, ist das auch eine Stimme gegen Rechtsextremismus. Erst recht, sagt mein Vater, wenn man SPD wählt. Oder Die Linke, sag ich, übrigens hätte ich das Trau-dich-Plakat anders gemacht. Weil du meinst, fragt mein Vater, dass sich viele gar nicht mehr trauen, wählen zu gehen? Also plakatieren zu gehen, sagt meine Mutter, traue ich mich nicht mehr. Ja, sag ich, und damit es besser zu: Sei kein Arschloch! passt. Nämlich, fragt meine Mutter. Geh wählen, sag ich, sei kein Frosch! Mäßig originell, sagt mein Vater. Aber, sag sich, als Glossentitel besser geeignet als: Sei kein Arschloch! Na, hoffentlich, sagt mein Vater, gibts unter den Fröschen nicht zu viele davon.