©Thea Nivea
Thea Nivea Glosse
Thea Nivea
Hi, ich bin Thea Nivea. Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de
Tina nimmt jetzt auch Menschen mit, sag ich. Wohin, fragt meine Mutter. In den Untergrund, sagt mein Vater. Wie, in den Untergrund, frag ich. Mit dem Aufzug in der Litfaßsäule beim Kiosk, sagt mein Vater, runter in den Darmstädter Untergrund, um verstorbene Literaten zu treffen. Muss ich das verstehen, frag ich und gucke meine Mutter an. Dein Vater, sagt meine Mutter, war früher mal leidenschaftlicher Arno-Schmidt-Fan. Genau, sagt mein Vater, ich hab heute noch alle Bücher, die es damals bei Fischer als Taschenbuch gab. Er hat mir mal gebeichtet, sagt meine Mutter, er hätte sogar welche geklaut. Im Kaufhof, sagt mein Vater, die hatten ne Bücherabteilung im EG, gleich rechts, wenn man vom Eingang an der Haltestelle Schloss reinging. Von der Haltestelle Schloss gehts nirgendwo in den Kaufhof, sag ich. Heute nicht mehr, sagt mein Vater, die war früher weiter vorne, zwischen Weißer Turm und Friedensplatz. Und da am Kiosk war der Aufzug in die Unterwelt, sagt meine Mutter. Echt jetzt, frag ich. Nein, sagt mein Vater, nur in Arno Schmidts „Tina oder über die Unsterblichkeit“. Arno Schmidt, sag ich, ich erinnere mich dunkel, der hat doch in den 50er-Jahren in Darmstadt gewohnt. Bemerkenswert, sagt mein Vater, dass du das weißt. In der Neunten, sag ich, hatten wir einen coolen Deutschlehrer. Heute werden die Neuntklässler immer schlechter, sagt meine Mutter, sagt eine Studie. Wahrscheinlich, sagt mein Vater, weil sie nicht Arno Schmidt lesen. Rechtschreibmäßig war der kein gutes Vorbild, sag ich. Klar, sagt mein Vater, so wie der rumassoziiert hat. Ich weiß noch, sag ich, dass er statt Kriemhild cream-hilled geschrieben hat. Leicht sexistisch, sagt meine Mutter. Mag sein, sag ich, wo genau hat der eigentlich gewohnt in Darmstadt? In der Inselstraße, sagt mein Vater. Ah, sag ich, da ist doch dieses Trafo-Häuschen mit der grausamen Hobby-Malkunst. Wieso grausam, sagt meine Mutter, das ist schön und nimmt Bezug auf Arno Schmidt, der direkt gegenüber gewohnt hat. Und, sagt mein Vater, beim Anblick noch früher in die Heide geflohen wäre. Ehrlich gesagt, sag ich, mir ist echte Graffiti lieber. Und die Schmierereien auf Hauswänden, fragt meine Mutter, oder auf Zügen und Straßenbahnen? Apropos Straßenbahn, sag ich, der Shuttlebus zum Weltkulturerbe ist eingestellt. Der F-Bus reicht auch völlig, sagt mein Vater, F wie Feldkulturerbe. Ganz schlechter Sprachwitz, sag ich, für einen Arno-Schmidt-Fan. Früher, sagt mein Vater, fuhr da die Straßenbahnlinie 6 bis zu den Hirschköpfen im Darmstädter Osten. Tina, sag ich, fährt in den Darmstädter Norden. Ach, die Tina meinst du, sagt meine Mutter. Total Integrierter Niederflur-Antrieb, sagt mein Vater. Straßenbahnfahren wird immer komfortabler, sagt meine Mutter. Radfahren auch, sag ich, endlich gehts auf dem City-Ring weiter und der Fahrradstraßen-Oldie Wilhelminenstraße wird breiter. Wieder zulasten der Autos, sagt mein Vater. Höre ich da einen Unterton des Bedauerns, fragt meine Mutter. Ich bedaure nicht, sagt mein Vater. Ich finde, sag ich, Autos gehören raus aus den Wohnquartieren. E-Scooter auch, sagt mein Vater. Immerhin solls dafür jetzt Abstellplätze geben, sagt meine Mutter. Ich bin, sag ich, für mehr scooter- und autofreie Superblocks in Darmstadt. Mutig, sagt meine Mutter, wenn man bedenkt, dass es schon mächtig Widerstände gegen die Parkraumbewirtschaftung gibt. Jetzt dann auch mit MaJo, sagt mein Vater. Wenn das ein Sprachwitz sein soll, sag ich, dann ist das ein noch schlechterer. Apropos MaJo, sagt meine Mutter, ich nehme zu meiner gewonnenen Bratwurst Pommes mit Mayo. Stimmt, sag ich, Mama hat ja die Wahlwette gewonnen. Hilde hat gewonnen, sagt meine Mutter, ich hab sie nur gewählt. Auf Bijan hatten wir alle gewettet, sag ich, zum Glück ist er wieder dabei im Landtag. War trotzdem ein grandioses Erststimmenergebnis, sagt meine Mutter. Maximaler Abstand zum Ergebnis der SPD, sag ich. Damit ist er für mich jetzt schon unsterblich, sagt mein Vater. Naja, sagt meine Mutter. Ich denke, sag ich, wir überlassen das mit der Unsterblichkeit lieber Tina.