©Thea Nivea
Thea Nivea Glosse
Thea Nivea
Hi, ich bin Thea Nivea. Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de
Ist es nicht traumhaft, sag ich, dass Darmstadt endlich eine Oberbürgermeisterin hat? Es wurde auch langsam mal Zeit, sagt meine Mutter. Aber irgendwie klingt sie heute anders, wenn ich nicht wüsste, dass es meine Mutter ist, könnte es auch meine Oma sein. Ich hab immer gesagt, höre ich die Stimme meines Vaters, wenn sie in die Stichwahl kommt, dann wird sie es auch. Aber, hör ich mich sagen, es ist doch eine Sensation, dass Kerstin gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit geholt hat. Wenn die Zeit reif ist …, sagt meine Mutter. Oh Gott, die Zeit, denke ich, ich muss in die Redaktion, meine Glosse schreiben. Ich nehm das Lastenrad, ruf ich, das ist sicherer. Wir haben doch gar keins, denk ich gleichzeitig und bin schon an der Bleichstraße, wo das Geisterrad steht. Jemand tippt mir auf die Schulter: Steig lieber ab, es ist gefährlich hier. Ich dreh mich um, es ist mein Vater, er beugt sich über mich. Trinkst du noch einen Kaffee mit, fragt er. Ich muss in die Redaktion, sag ich. Du bist eingeschlafen, sagt meine Mutter, komm erst mal zu dir. Normalerweise tut mir so ein Powernap ganz gut, sag ich, als wir am Küchentisch sitzen, aber ich hab irgendwas von dem Fahrradunfall geträumt. Ein realer Albtraum, sagt meine Mutter. Ja, sag ich, und noch was von der OB-Wahl. Erinnerst du dich an was Konkretes, fragt mein Vater. Nicht wirklich, sag ich. Träume verarbeiten die Vergangenheit, sagt meine Mutter, und schauen gleichzeitig in die Zukunft. Na dann, sag ich, apropos Zukunft, ich muss noch meine Glosse schreiben. Du hörst also nicht auf, sagt mein Vater. Wie denn, sag ich, Mama hat die Stichwahlwette gewonnen und entschieden, dass ich weitermache. Schreibst du auch was über die OB-Wahl, fragt meine Mutter. Das genau ist das Problem, sag ich, wir kommen am 1. April raus und am 2. April ist die Stichwahl, wen interessieren dann noch irgendwelche Prognosen, dann gehts nur noch um den Auserwählten. Dann musst du dich halt festlegen, sagt mein Vater, und wenns daneben ging, wars ein Aprilscherz. Es gibt eigentlich genug andere Themen, sag ich. Die Kaufhof-Schließung z. B., sagt meine Mutter. Sag mal ehrlich, sag ich, wann warst du das letzte Mal im Kaufhof? Und wie oft im Monat bestellst du was im Internet, fragt mein Vater. Wir haben uns halt durch Corona ans Online-Shopping gewöhnt, sagt meine Mutter. Aber Fliegen und Autofahren tun wir alle wieder, sag ich. Komisch, sagt mein Vater, dass dann noch nicht mal die Megabaustelle an der Rheinstraßenbrücke groß Thema ist, alles geht nur darum, wer OB wird. Wenn man sich die Wahlbezirke genauer anguckt, sag ich, dann kanns nur Kolmer werden. Wieso, fragt meine Mutter. Kerstin, sag ich, hat in den grünen Hochburgen abgesahnt, dort werden sie in der Stichwahl wieder Grün wählen. Oder gar nicht, sagt mein Vater. Grünwähler gehen immer wählen, sagt meine Mutter. Trotzdem, sag ich, die Wahlbeteiligung wird runtergehen, hoffentlich nicht unter 40 %. Wandrey und Klötzner empfehlen Kolmer, sagt mein Vater, das sind rechnerisch schon über 50 % ohne die Lau-Wähler. Und Wählerinnen, sagt meine Mutter. Aha, sag ich, du also auch? Wahlgeheimnis, sagt meine Mutter. Also, was schreib ich, frag ich meine Mutter, du hast mir das Ganze doch eingebrockt. Blöd, sagt mein Vater, dass es nur bei Bundes- und Landtagswahlen repräsentative Umfragen gibt. Wir machen selbst eine, sagt meine Mutter. Wie, frag ich. Eine repräsentative Umfrage in unserer Familie, sagt meine Mutter. Wir drei, fragt mein Vater. Genau, sagt meine Mutter. Okay, sag ich und reiße Schnipsel von der Zeitung ab. Ausfüllen und hier in meine Kaffeetasse reinwerfen, sagt mein Vater. Mama zählt aus, sag ich. Wahlbeteiligung 100 %, stellt meine Mutter fest. Und hier das vorläufige amtliche Endergebnis: Benz 33,33 %, Kolmer 66,66 %. Familien-Endergebnis, sag ich. Wahrscheinlich, sagt mein Vater, relativ nah an der Realität. Das wäre ein Traumergebnis, sagt meine Mutter. Nur aus der Sicht einer Grünen, sagt mein Vater. Ein Traumergebnis, sag ich, wäre was ganz anderes gewesen.