©Klaus Mai
Kristina Sinemus, Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung
Ein Frühlingstag auf dem ESA-Gelände: Die Ministerin hat gerade einemotivierende Rede gehalten und ist auf dem Sprung zum nächsten Termin.Für das Magazin ihrer Heimatstadt nimmt sie sich dennoch die Zeit und beantwortet die Fragen gut gelaunt, spontanund mit einer Prise Humor.
FRIZZmag: Frau Sinemus, können Sie nach 100 Tagen als Hessische Digital-ministerin noch unbehelligt und entspanntauf dem Riegerplatz ein Eis essen?
Kristina Sinemus: Ich kann morgens immer noch entspannt am Riegerplatz Brötchen kaufen. Da ist nämlich mein Bäcker, René Bock. Und zum Eis essen gehe ich gerne ins Bacio am Kantplatz.
Ihre kleine Tochter würde nicht Nein sagen, wenn man ihr einen Donut anbietet,Sie haben nicht Nein gesagt, als Ihnen der Hessische Ministerpräsident dasDigitalministerium angeboten hat. SehenSie da Analogien? Was ist das Süße oder Leckere an Ihrem neuen Amt?
Meine Triebfeder war schon immer, Zukunft zu gestalten und etwas Neues zu beginnen. Ich beginne jetzt mein drittes Start-up. Das ist das, was mich antreibt. Eine süße Herausforderung (lacht).
Würden Sie der Aussage zustimmen, dass man als selbstständige Unternehmerinunmittelbarer und wirksamer handelnkann als als Ministerin?
Weder noch. Es sind die Gestaltungsmöglichkeiten und der Gestaltungswille: Das ist das, was wir für die Zukunft brauchen. Und dieses Ministerium von Null aufzubauen, ist eine große Chance.
Eine parteilose Ministerin ist wenigerwirksam, weil es ihr am politischen Rückhalt zur Durchsetzung ihrer Politik fehlt. Eine parteilose Ministerin ist wirksamer,weil sie auf parteipolitische Verflechtungen keine Rücksicht zu nehmen braucht. Welcher Satz trifft eher zu?
Eine parteilose Ministerin eines neuen Digitalministeriums ist dann erfolgreich, wenn sie im Querschnitt mit allen Kabinettskollegen das Thema Digitalisierung voranbringt. Zusammen und gemeinsam! Nicht entweder oder.
Wie gefestigt sind Sie schon in Ihrerneuen Rolle? Oder flasht hin und wieder noch die Genius-Beraterin dazwischenund scannt die Kabinettskommunikationauf der Metaebene?
Mit Anfang 50 besitzt man eine gewisse Persönlichkeitsstruktur, die sich - das kann man positiv oder negativ bewerten – grundsätzlich nicht mehr ändern lässt. Mein Gestaltungswille bestimmt meine Persönlichkeit und zu dieser gehört erstens beharrlich zu sein – beharrlich: das sind die Gene der Waldeckerin – und zweitens die Fähigkeit, die Kreativität der Region Darmstadt, in der ich aufgewachsen bin und lebe, aufzunehmen und im Netzwerk weiterzuentwickeln und drittens als verlässlicher Partner für alle unterwegs zu sein.
Wie hilfreich ist es für Sie beim Aufbaudes neuen Ministeriums, keine Verwaltungserfahrungen zu haben?
Es hilft tatsächlich. Es geht darum, gemeinsam mit den Experten der Verwaltung einen neuen Weg zu finden, also Verwaltung und freie Wirtschaft gemeinsam zu denken, um ein „Anders-Ministerium” auf den Weg zu bringen.
Würden Sie so weit gehen, schnelles,flächendeckendes und kostenfreiesInternet als ein Grundrecht des Menschenim 21. Jahrhundert zu bezeichnen?
Infrastruktur ist ein Stück Daseinsvorsorge. Ich bin der Meinung, dass der Internetzugang ein wichtiges Gut ist, um analog wie digital teilhaben zu können.
Wie digital ist Ihr Leben als Darmstädterinund, wie verwirklichen Sie sich analog?
Meine persönliche Leitfrage, wie auch die des Ministeriums, das im Übrigen auch einen Rat für Digitalethik hat, ist: Wie viel Analoges und wie viel Digitales brauchen wir in Zukunft? Wir müssen eine gute Balance zwischen analog und digital finden, das ist mir wichtig, und es ist wichtig für die Zukunft der Gesellschaft. Und auch, dass meine Kinder diese Balance finden. Dazu gehört zum Beispiel, beim Essen das Handy mal nebendran zu legen, denn gemeinsam essen ist ein Kulturgut der Kommunikation miteinander.
Ihre beiden Töchter sind Digital Natives,Sie gehören zur Generation der DigitalImmigrants? Was haben Ihnen IhreTöchter digital voraus?
Die Selbstverständlichkeit, mit der Digitalisierung umzugehen.
Wieviel Zeit nehmen Sie sich noch für Fitnessstudio, Jugendstilbadoder Ausstellungen?
Ich habe mir vorgenommen, das wieder dreimal die Woche hinzubekommen. Im Moment ist es nicht ganz so, doch es ist mein fester Wille, das zu ändern. Ich spiele ja auch Volleyball und nehme mit meiner Mannschaft an einer Punktrunde teil. Da bin ich gezwungen dabei zu sein, denn nur die Mannschaft, nur ein Team bringt uns voran, im Persönlichen und im Privaten. Das habe ich gelernt. Und so wird es auch im Ministerium sein.
Sie spielen ja auch Doppelkopf.Mit oder ohne Neunen?
Ohne Neunen.
Zweite Dulle sticht die erste?
Zweite Dulle sticht die erste, na klar.
Sonderpunkt für Karlchen Müller fangen?
Joh
Wenn Sie sich als Digitalministerin etwas wünschen könnten, was morgen früh analoge Wirklichkeit wäre, was wäre das?
Ich war kürzlich zwei Tage in Brüssel und habe mit erstaunlich vielen Kommissaren sprechen können. Die waren alle total begeistert darüber, dass ein deutsches Bundesland den Mut hat, ein eigenes Digitalministerium mit Zuständigkeiten wie z.B. für Breitband und Mobilfunk oder Verwaltungsdigitalisierung zu gründen. Ich wünsche mir, dass wir analog ein Stück dazu beitragen können, Europa im globalen Wettbewerb voranzubringen. Und ich wünsche mir auch, dass ich analog die Rückmeldung der Kommissare bekomme, dass wir hier in Hessen Pionierarbeit geleistet haben für Europa.
Sie haben sich vor dem ESA-Satellitenfotografieren lassen. Warum?
Es ist zum einen dem Zufall des heutigen Tages geschuldet, dass ich bei der ESA ein Grußwort gehalten habe. Zum anderen halte ich die Satellitenkommunikation für ein wichtiges Business-Modell der Zukunft, insbesondere am Standort Hessen. Wir werden dadurch einen Kommerzialisierungsfortschritt haben, den wir momentan überhaupt noch nicht ermessen können.
Vielen Dank und alles Gute.
kristina_sinemus.vita
*16.9.1963 in Darmstadt, aufgewachsen in Bad Arolsen, 1982 Abitur an der Christian-Rauch-Schule Bad Arolsen, 1985 bis 1991 Lehramtsstudium Biologie, Chemie, Germanistik in Münster (Westfalen) und Kassel, 1. und 2. Staatsexamen, Diplom in Biologie, ab 1991 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT) und 1995 Promotion in Biologie an der TH Darmstadt, 1996 Gründung der Communication in Life Science als Vorläuferin der 1998 von ihr gegründeten Genius GmbH als geschäftsführende Gesellschafterin, seit 2011 Professorin für den Fachbereich Public Affairs an der Quadriga Hochschule Berlin, ab 2014 Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Darmstadt, seit 18. Januar 2019 Hessische Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung. Verheiratet, zwei Töchter, lebt im Martinsviertel.