Laut, bunt, lustig, verrückt geht es zu, wenn am Christopher Street Day (CSD) die Demo-Parade mit ihren Regenbogenflaggen durch die Innenstadt zieht. Weniger lustig ist das Anliegen der demonstrierenden Homo- und Bisexuellen, trans oder inter Menschen und ihren Familien und Freunden: Unerbittlich müssen sie um ihre Rechte sowie eine diskriminierungsfreie Gesellschaft kämpfen. Denn: Überall und immer wieder gibt es Anfeindungen - queere Menschen werden beleidigt, verlacht oder körperlich bedroht. Sie fühlen sich nicht hinreichend akzeptiert und schon gar nicht geschützt. Es liegt noch viel im Argen - solche Hetze darf in einem demokratischen Deutschland nicht Standard sein.
"Es ist notwendig, dass queere Bedürfnisse noch stärker in die politischen Prozesse einfließen und 'Regenbogenkompetenzen' strukturell gefördert werden", lautet deshalb eine ihrer Forderungen. Es reiche längst nicht aus, mit dem farbenfrohen Völkchen am CSD auf die Straße zu gehen, sondern es müssten "sichere Räume und Unterstützungsangebote für queere Menschen in Stadt und Land geschaffen und die bestehenden Angebote verstetigt und ausgebaut werden", zitiert Johannes Schramm, der LSBT*IQ-Netzwerkkoordinator in Südhessen, eine der politischen Forderungen.
Mit dem diesjährigen Motto "Vielfalt verpflichtet!" erinnert die Community daran, dass sie als Teil der Stadtgesellschaft "geschützt und unterstützt" werden müsse und drängt auf ein längst fälliges "modernes Selbstbestimmungsgesetz, das sich an den Lebenswirklichkeiten von trans*, inter* und nicht-binären Menschen orientiert". Das Motto solle ausdrücken, dass es nicht ausreicht, lediglich Symbole der Akzeptanz und Inklusion zur Schau zu stellen - echte Verpflichtung zu Vielfalt erfordere konkrete Maßnahmen und aktives Engagement gegen Diskriminierung und für queere Rechte.
Christian März leitet seit elf Jahren den CSD Darmstadt und gehört seit letztem Jahr dem Vorstand des Vereins vielbunt an, der im Queeren Zentrum in der Oetinger Villa beherbergt ist. Der Grundschullehrer wird 2023 den CSD zum letzten Mal organisieren. Weil er davon überzeugt ist, dass sich der Christopher Street Day "verändern muss" und es dafür auch eine neue Leitung braucht. Der Pädagoge freut sich auch schon auf eine Auszeit in den Sommerferien, wo er dann auch mal wegfahren kann - denn das war mit der Organisation des CSD all die Jahre nicht möglich: "Der CSD ist sehr zeitintensiv und man trägt große Verantwortung." Dass er das immer gerne auf sich genommen hat, steht außer Zweifel, aber nach einer ganzen Dekade sollte man den Weg wieder frei für andere machen. "Damit sich der CSD Darmstadt gut weiterentwickeln kann."
Schließlich ist der CSD das größte Projekt, "die größte Außenwerbung" von vielbunt, und ist damit fast "das Einzige, was die Darmstädter*innen von uns mitbekommen", stellt Christian März klar. 2010 wurde vielbunt gegründet. Seinerzeit begann alles, "weil wir uns neben Mannheim und Frankfurt nicht trauten", 2011 mit einem queeren Sommerfest auf dem Riegerplatz. Ohne Demo-Parade, weil man nicht so mickrig gegen die anderen Städte auftreten wollte. Doch Homo- und Bisexuelle, trans und inter Menschen gibt es viele, und so wurde der Riegerplatz, wo man anfänglich feierte, zu klein. "Die Menschen wichen in sämtliche Nebenstraßen aus, so dass uns Polizei und Ordnungsamt vorschlugen, nach einem größeren Platz zu suchen." So kam die Community auf den Karolinenplatz, "wo wir uns sehr wohlfühlen".
©Veranstalter
CSD Darmstadt
Dieses Mal ist Jochen Partsch, Oberbürgermeister A. D. nicht mehr der Schirmherr, aber der neue OB Hanno Benz ist es auch nicht, "weil wir uns schon Monate im Voraus darum kümmern müssen". Der Hessische Minister für Soziales und Integration, Kai Klose, hat die Aufgabe übernommen. "Er hat uns schon immer unterstützt, fühlt sich mit vielbunt sehr verbunden." Jochen Partsch habe ihnen aber bescheinigt, dass der Darmstädter CSD der politischste sei, und darauf ist die Community stolz, denn sie legten großen Wert aufs Inhaltliche und versucht Kommerzialisierung zu vermeiden.
Mit zahlreichen Arbeitsgruppen wird das Festival mit umfangreichem Programm wie Demo-Parade, Open-Air-Fest, Infoständen, Podiumsdiskussionen, After-Show-Party und viel Musik begangen. Angekündigt für den 19. August sind Rosa Opossum, Aurora DeMeehl, Kery Fay, Sir Mantis, Titanic Swim Team, Dahlia Danger, Janisha Jones, Pasta Parisa und DJ Leo Yamane. Die einen kümmerten sich um die Gäste, Bühne und Technik, die anderen um die Finanzen, Demo etc. - von den Toiletten über Müllbeseitigung bis hin zur Platzreinigung am Ende müsse an alles gedacht werden.
Wichtig ist den Machern, dass die Community sichtbar wird, dass die Sensibilität in Schulen, Gerichten, bei der Polizei gefördert wird. Mit bestellten Queerbeauftragten kann so einiges erreicht werden, betont Johannes Schramm, der an die vielen Übergriffe und Gewalttaten an queeren Menschen erinnert. "Aber man kennt keine Zahlen", sagt er, "weil keine eigene Gewaltstatistik darüber geführt wird, die darüber Auskunft geben könnte". Es gebe so viel Gewalt, populistische Aussagen, Hass und Hetze gegen trans oder inter Menschen, und dies alles nehme eher zu: "Gerade auch in den Sozialen Medien, wie TikTok, wo enorm gehetzt wird", sagt März. Da es schließlich ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, fordern Schramm und er "die konsequente Verfolgung und Dokumentation von Gewalttaten gegen queere Menschen". Denn "nur so können sie sichtbar gemacht und nicht länger ignoriert werden".
Und längst werde nicht nur gegen queere Menschen gehetzt, sondern auch gegen Flüchtlinge. "Wo ist die Grenze?" fragt Christian März. Menschen, die vor Krieg und Repressionen fliehen und bei uns Schutz suchen, "verdienen unsere Solidarität". Deshalb sind sichere Unterbringungen für queere Asylsuchende zu schaffen und damit ihre Schutzbedürfnisse anzuerkennen. "Auch in Darmstadt brauchen wir ein Safehouse nach dem Vorbild von Frankfurt."
Über 400 Mitglieder zählt der noch recht junge Verein vielbunt - wobei rund fünfzig davon zu den Aktiven zählen. Wichtig ist, und auch einzigartig, das Angebot für Eltern mit trans Kindern. Bis zu 100 Familien organisieren sich im Queeren Zentrum und kommunizieren auch online, um Fragen stellen zu können, sich untereinander auszutauschen oder zu treffen. "Es gibt viele, die in Not sind", weiß Johannes Schramm. Auch hierfür sei der CSD ein niedrigschwelliges Angebot, wo jeder einfach hingehen, sich informieren, mitfeiern oder bei der Demo-Parade mitlaufen kann.
Der Christopher Street Day Darmstadt wird am Samstag, den 19. August, ab 12 Uhr auf dem Karolinenplatz als Demo-Parade durch die Innenstadt ziehen. Um 14 Uhr kommen alle wieder auf dem Karolinenplatz zusammen. Ab 22.30 Uhr beginnt die After-Show-Party in der Centralstation im Carree.