Für das Jahr 2019 meldete das Berliner Projekt Maneo knapp 560 Angriffe auf schwule, lesbische und Transmenschen in Deutschland. Homo- und Transfeindlichkeit sind noch immer in unserer Gesellschaft fest verankert, aber zum Glück gibt es jene, die etwas dagegen tun – auch hier in Darmstadt. Wir haben mit dem LGBTQ+*-Aktivisten Alexander Arnold über Gleichberechtigung, Vorurteile und Fußball gesprochen.
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FRIZZmag: Gerade in Zeiten von Corona scheint es, als würden viele gesellschaftspolitische Themen wie Homo- und Transfeindlichkeit untergehen. Wie sehr schadet das einem Verein wie vielbunt e.V.?
Alexander Arnold: Wir und unser Verein leben stark davon, dass die Leute sich begegnen, aber auch, dass sie sich bei uns engagieren. Es ist ein Geben und Nehmen. Vieles von unserer Arbeit ist deshalb wegen Corona runtergefahren worden. Wir haben aber relativ schnell auf Onlineangebote umgestellt, wie Online-Barabende oder Online-Kulturabende. Es war zu spüren, dass den Leuten, die sich dort getroffen haben, etwas gefehlt hat. Nicht alle können offen mit ihrer Homosexualität oder Transidentität leben, sondern können das nur in dem Schutzraum, den vielbunt bietet. Wenn das fehlt, ist das dramatisch für diese Leute.
‚Schutzraum‘ ist ein gutes Stichwort. Darmstadt wirkt immer sehr liberal – warum braucht unsere Stadt einen Schutzraum für Menschen der LGBTQ+-Community?
Ja, Darmstadt ist eine offene und liberale Stadt, aber ich denke, es ist ein Fehler, zu glauben, dass sowas immer von selbst passiert. Wenn wir uns umgucken, was auf der Welt in anderen Ländern, in anderen Städten passiert, dass Rechte wieder zurückgenommen werden, ist es wichtig, dass es so Organisationen wie vielbunt gibt, die für diese Offenheit und Vielfalt in einer Gesellschaft einstehen und verteidigen. Wir verstecken uns nicht, gehen raus und zeigen Flagge gegen demokratiefeindliche, homophobe und rassistische Kräfte.
Und was hat Sie persönlich dazu gebracht, sich bei vielbunt zu engagieren?
Ich war in meinem Leben schon immer einer, der sich neben der Arbeit, dem Studium oder der Schule ehrenamtlich engagiert hat. Früher war es Jugendarbeit, das habe ich dann zum Beruf gemacht. Ich bin zwar kein Gründungsmitglied von vielbunt, hatte aber relativ früh Kontakt beim ersten Christopher Street Day hier in Darmstadt geknüpft. Und da habe ich gemerkt, hier sind tolle Leute, hier ist ein gutes Klima, hier kann man sich einbringen und hier fühle ich mich wohl.
Sie arbeiten ja auch ehrenamtlich bei den Lilien als Ansprechpartner für sexuelle Vielfalt. Gibt es im Fußball einen Nährboden für Homo- und Transfeindlichkeit?
So weit würde ich nicht gehen, zu sagen, dass es da einen Nährboden gibt. Wenn wir über Homophobie im Fußball reden, sind wir ganz schnell bei dem Thema Sexismus und Männlichkeitsbilder und es kommt direkt auf, homosexuelle Männer sind keine „echten“ Männer, sondern weiche Männer. Es geht darum, diese Verbindung aufzubrechen.
Das Projekt Maneo hat letztes Jahr diese erschreckende Zahl zu Angriffen auf schwule, lesbische und Transmenschen veröffentlicht – wie sehr ist denn Homo- und Transfeindlichkeit Teil unserer Gesellschaft?
Es ist schon ein großer Teil. Viele Leute sind jetzt zwar so „ach die dürfen ja jetzt heiraten und alles ist in Ordnung“, aber es fehlt nach wie vor an Sichtbarkeit. Wie oft sehen wir homosexuelle oder Transpersonen im Fernsehen, Radio oder der Zeitung? Für viele ist das alles so weit weg. Solange es noch immer Leute ok finden, dagegen zu sein, zu sagen „das finde ich nicht gut“, begründet auf Religion, Moral oder was auch immer, solange das ok ist in Parlamenten und Medien, ist es nicht verwunderlich, wenn Leute ihre eigenen Ressentiments damit rechtfertigen.
Also sprechen Sie sich für ein Verbot aus, gegen Homosexualität zu sein?
Gegen Homosexualität zu sein, heißt gegen Menschen zu sein. Menschen sind vielfältig, Menschen sind auch mehr als nur ihre sexuelle Orientierung oder ihre geschlechtliche Identität. Ich finde auch nicht toll, was alle anderen Menschen machen, aber ich spreche ja trotzdem niemandem die Rechte ab, die der Gesetzgeber uns garantieren sollte.
Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit Homo- und Transfeindlichkeit aus unserer Gesellschaft verschwinden?
Das sind zwei Sachen: Für mehr Sichtbarkeit, mehr Bildung sorgen, damit auch mit Klischee-Bildern aufgeräumt wird. Und zweitens die diskriminierende Gesetzgebung beenden. Mit der Ehe für alle ist das ja schon teilweise passiert, aber man kann über Themen wie Blutspende** oder die Aufnahme der (sexuellen) Orientierung und geschlechtlichen Identität ins Grundgesetz reden.
*LGBTQ+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer, das + steht für alle weiteren Begriffe, die nicht genannt wurden wie Asexual, Intersex oder Pansexual
**Homosexuellen Männern ist es in Deutschland nur erlaubt, Blut zu spenden, wenn sie davor zwölf Monate keinen Sex mit einem gleichgeschlechtlichen Partner hatten.
alexander_arnold.vita
Alexander Arnold ist 35 Jahre alt, lebt schon den Großteil seines Lebens in Darmstadt und hat Sozialpädagogik studiert. Hauptberuflich arbeitet er im Jugendamt Darmstadt. Neben der Arbeit engagiert er sich seit fast 10 Jahren bei vielbunt e.V., einem Verein, der sich für die LGBTQ+-Community einsetzt und den jährlichen Christopher Street Day in Darmstadt veranstaltet. Seit eineinhalb Jahren ist er Vorstandsvorsitzender des Vereins. Außerdem ist er der ehrenamtliche Ansprechpartner für sexuelle Vielfalt beim SV Darmstadt 98.