Früher war die Jugendgruppe des Vereins vielbunt in Kellerräumen an derRheinstraße beherbergt: „Dunkel und eng, wir fühlten uns wie eine Untergrundszene“, betont Jan Bambach. „Irgendwie“, meint er, „passte das ja auch zu all den Ungeouteten“. Im Englischen würde man dazu „to be in the closet“ (heimlich im Wandschrank sein) sagen, kommentiert der inzwischen Fünfundzwanzigjährige. Aber so fühlten sich leider sehr viele aus der queeren Szene, damals wie heute, die sich aus Angst vor Anfeindungen lieber nicht öffentlich zeigten, wie sie sind. In seiner Schule, erzählt Jan, habe er „nur eine Person“ gekannt, von der er wusste, dass sie ebenfalls homosexuell sei, heute gebe es glücklicherweise einige mehr, die sich outeten. Dennoch: Ob lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder inter - nach wie vor erfahren viele queere Menschen Ausgrenzung und Diskriminierung und „Schulen sind für queere Menschen keine schönen Orte“. Immer noch gebe es die Beleidigung „Du schwule Sau“, und auch Lehrer halten sich nicht mit fiesen Bemerkungen zurück: „Man selbst ist ja unsicher, und das alles verstärkt diese Unsicherheit noch.“ Viele Menschen sprächen zwar sehr offen über Homo- oder Bisexuelle und stünden ihnen auch aufgeschlossen gegenüber, „doch meistens, wenn es dann die eigene Familie betrifft, wird es sofort zum Tabuthema.“ Jan Bambach wurde 1997 in Offenbach/Main geboren und zog wegen seines Informatikstudiums von Obertshausen, wo er aufwuchs, nach Darmstadt. Wenn er von seinem Studium oder seiner IT-Erwerbsarbeit spricht, kommt er ins Schwärmen. Ihn interessiert „die Vorgehensweise der Informatik, die Algorithmen, die Logik“, denn das seien „riesige Werkzeuge zum Lösen von Aufgaben“. Für seine Bachelorarbeit vertiefte er sich ein Jahr lang in diese Tools, entwickelte eine komplexe Plattform, „Innovativer Webservice zur Personenauthentisierung und -authentifizierung für elektronische Prüfungssysteme mit WebRTC“. Obwohl er lange für sein Teilzeitstudium an dieser Mammutarbeit saß, hat er noch nicht genug davon: Er wird sie im Anschluss noch um ein paar Module ergänzen müssen für den Abschluss. Zudem jobbt er für einen Dienstleister und hierbei für internationale Unternehmen, um deren Arbeitsprozesse zu optimieren. „Das Rationale“, glaubt er, „fasziniere ihn an der Informatik“. Auch bei Mozilla Firefox engagierte er sich seit 2009, weil diese Community ihn bei kniffligen Fragen immer unterstützte. Er wollte dafür etwas zurückgeben und wurde sehr freundlich aufgenommen: Neben IT und Design schrieb er später sogar am Newsletter mit, den immerhin 17.000 Lesende bekamen. Hier fühlte er sich wohl und aufgehoben und besuchte einige Treffen. Beim ersten Event außerhalb von Deutschland, in Belgien, musste er, weil er noch minderjährig war, in Begleitung seines Vaters kommen. Seit über fünf Jahren ist er nun bei vielbunt mit dabei, und richtiggehend froh, diesen einzigartigen Verein mit seinen inzwischen über 400 Mitgliedern gefunden zu haben. „vielbunt hat Mozilla abgelöst“, sagt er, der jetzt einer der drei Beisitzer von vielbunt im Queeren Zentrum ist, dem Stefan Hauer und Christopher Januschkowetz vorsitzen. In der Fachschaft Informatik lernte er seinerzeit Christopher Januschkowetz kennen, der ihn 2018 spontan fragte, ob er nicht einen Trailer für den Christopher Street Day (CSD) erstellen wolle. Obwohl in der Filmmaterie noch gänzlich unerfahren, sagte Jan seine Mitarbeit zu und avancierte dann zusammen mit einem guten Freund zum Leiter dieses Videoprojektes. Das Motto dieses Trailers sei „Trans* Pride - Du bestimmst nicht mein Geschlecht!“ gewesen, und dieser CSD sei sehr wichtig für Menschen, die sich gar nicht oder nur teilweise mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Denn dort können sie sich wenigstens für einen Tag im Jahr sicher und offen auf der Straße zeigen und lautstark auf Problemstellungen für die trans* Community oder auf ihr eigenes trans* Sein aufmerksam machen. Auch intergeschlechtliche Menschen, ob hormonell, ob die Genitalien betreffend oder chromosomal, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich zuzuordnen sind - wollen auf sich aufmerksam machen. Zu diesem Zeitpunkt konnten sie nach der Geburt durch ihre Eltern angeordnet, aber möglicherweise gegen ihren eigenen Willen, geschlechtsangleichenden OPs unterzogen werden. Damals filmten Jan und Tobias sieben trans* Personen beim Erzählen ihrer mitreißenden Geschichten, „bei denen uns oft die Tränen liefen“. Jan gesteht ein, dass er bis zu diesem Zeitpunkt, selbst noch nie bewusst eine trans* Person gesehen oder gesprochen hatte, aber ihre ehrlichen Geschichten berührten ihn zutiefst. Der Redaktion queer.de ist dieser Film aufgefallen, sie kürte ihn zum „Video des Tages“. Insgesamt hat Jan Bambach schon neun Videos produziert, die von queer.de wegen ihrer Geschichte und transportierten Wissensinhalten sowie Emotionen überzeugten. „Obwohl sie ganz schlicht gemacht sind“, wie der Wahldarmstädter bescheiden anmerkt, „mit einer Kamera von vorne und einer von der Seite.“ Besonders schlimm sind die Anfeindungen und auch, wie in der Öffentlichkeit stehende Politiker über queere Menschen sprechen. Immer wieder werden sie auch von gewaltvollen Übergriffen gepeinigt und sogar getötet. „Das war wohl gezielter Mord an dem sechzehnjährigen Mädchen, das trans war“, empört sich Jan über die Tötung einer trans* Jugendlichen Anfang Februar im Großbritannien. Auch der tödliche Angriff auf einen trans* Mann beim CSD in Münster im vergangenen Jahr zeigt, wie es um die Selbstbestimmung von trans* Personen bestellt ist. All diese schrecklichen Vorfälle spiegeln die Haltung unserer Gesellschaft wider. vielbunt mit dem Queeren-Zentrum bietet mit den unterschiedlichsten Veranstaltungen, von farbenfrohen Jugendtreffen über vielfältige Sportangebote bis hin zu Drag-Workshops, geschützte Räume, in denen man sich begegnen und austauschen kann. „Letztlich“, so fasst Jan Bambach die vielbunt-Arbeit zusammen, „für eine bessere Gesellschaft“. Auch er würde gerne ohne Vor-behalte, verstohlene Blicke oder die Sorge, dass man ihn dann anders behandelt, „gern mit meinem Freund einmal händchenhaltend durch die Stadt gehen“. Doch die Stigmatisierung ist teilweise noch zu groß, befindet er. Trotzdem ist ihm klar, dass er es noch gut und auch viel einfacher hat, weil Homo-, Bisexuelle oder Lesben viel eher akzeptiert würden: Trans* Menschen, die laut ihm ebenfalls solidarisch unterstützt werden müssen, haben es da sehr viel schwerer, und Jan hat auch Angst, dass die Stimmung jederzeit kippen kann, sie noch mehr - als bisher - eingeschränkt werden könnten. Mit der Einführung der Ehe für Alle im Jahr 2017 sei eine schon lange gestellte Forderung erfüllt worden. Aber, wie sich in anderen Ländern sehen lasse, gäbe es Kräfte, die dies rückgängig machen möchten. Ebenfalls sei damit noch nicht alles für die queere Gemeinschaft getan, weil ein Selbstbestimmungsgesetz fehle. Alleine den Vornamen und Personenstand ändern zu lassen, sei nicht nur sehr kostspielig, sondern auch ein diskriminierender Akt mit bloßstellenden psychischen Gutachten. „Vielleicht denke ich zu pessimistisch“,räumt Jan ein, „aber vielleicht ist es ja auch sehr realistisch.“ Dabei ist die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ein wesentliches Merkmal des Menschseins. In der Natur ist den Leuten klar, dass „kein Blatt am Baum dem anderen gleicht“. Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Dritten Option erkannte diese Tatsache endlich an, womit erstmals klargestellt wurde, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung auch im rechtlichen Sinn zum Kernbereich unserer Identität gehört. Dennoch stehen wir am Anfang und müssen noch viel entwickeln, damit jeder Mensch seine ureigenen Potentiale ungehindert entfalten kann. Jedenfalls ist Jan in seinem Schwulsein viel sicherer geworden und will deshalb mithelfen, dass auch andere queere Menschen stark werden. „Ich weiß, dass wir nicht allein sind.“
„Letztlich für eine bessere Gesellschaft“
Der Informatiker Jan Bambach engagiert sich seit einigen Jahren im Verein „vielbunt” für sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung.