Spätestens seit einem vielbeachteten zweiten Album „Hurra! Hurra! So nicht.“ ist der Sänger und Songschreiber Gisbert zu Knyphausen in aller Munde und hat sich seither in die Herzen zahlreicher Musikfans hierzulande gespielt. Im September geht er seit längerer Zeit wieder gemeinsam mit dem Vibraphonisten Karl Ivar Refseth auf eine kleine Tour, die das Duo auch in die „Centralstation“ führt.
FRIZZmag: Du bist in Wiesbaden geboren und auf dem Weingut deiner Eltern in Eltville mit vier Brüdern aufgewachsen. Für einen „Freiherr zu Innhausen und Knyphausen“ kommt einem eine Karriere als Sänger und Songschreiber nicht unbedingt als erstes in den Sinn. Wie bist du zur Musik gekommen?
Gisbert zu Knyphausen: Ich habe schon als Kind sehr gerne und sehr viel Musik gehört. Und meiner Mutter war es wichtig, dass wir alle ein Instrument lernen. Ich hatte ab der Grundschule Klavierunterricht, was mir nur mäßig Spaß gemacht hat. Ein Kumpel von mir hat Gitarre gespielt und da habe ich gemerkt, dass das was ist, was mir gefallen könnte. Und beim Gitarrespielen ist auch dann der Funke so richtig bei mir übergesprungen. Aber Musiker als Beruf war damals noch keine Option. Aber ich wollte einen Beruf ergreifen, der mit Musik zu tun hat, und habe dann Musiktherapie studiert. Während des Studiums habe ich mich schließlich getraut, mir einzugestehen, dass ich eigentlich nur Musik machen möchte. Und als ich es dann versucht habe, hatte ich das Glück, gleich die richtige Welle zu erwischen.
Wie hat sich diese Melancholie in deine Songs geschlichen? Deine Kindheit und Jugend scheint dem Vernehmen nach keine unglückliche gewesen zu sein.
Nein, die war nicht unglücklich. Aber trotzdem gab es bei mir auch bestimmte Umstände, die es mitunter anstrengend gemacht haben. Und viel Platz zum Spielen heißt ja nicht gleich, dass man ein rundum glücklicher Mensch wird. Vielleicht ist das bei mir auch eine charakterliche Disposition, dass ich so einen Hang zur Depression erwischt habe (lacht). Mich haben schon früh eher die schweren Themen interessiert. Da hat’s mich immer hingezogen.
Auf dein selbstbetiteltes Debütalbum aus dem Jahr 2008 folgte zwei Jahre später die Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“, die direkt sehr hoch in die Charts ging und bis heute für viele Fans ein Meilenstein deutschen Songschreibertums ist. Hat dich der Erfolg damals überrascht?
Es gab da auf jeden Fall einen Punkt, wo ich von der großen Resonanz ziemlich überwältigt war. Ich habe zwar schon in der Zeit vorher gemerkt, dass das Interesse stetig größer wurde, aber als die zweite Platte rauskam, gab es ein ziemlich geballtes Medieninteresse, das mich erst mal etwas eingeschüchtert hat. Das hat auf jeden Fall Eindruck hinterlassen.
Kurze Zeit später hast du gemeinsam mit Nils Koppruch von der Hamburger Band „Fink“ „Kid Kopphausen“ gegründet. Was hat den Ausschlag für die Bandgründung gegeben? War das auch ein Stück weit der Wunsch, sich vom großen Erfolg von „Hurra! Hurra! So nicht.“ freizuschwimmen?
Kann man so sagen. Auf jeden Fall gab es bei mir damals den Wunsch, mich mal eine Zeit von diesem Trubel zu entfernen. Einfach sagen zu können: „Ok, hier ist eine andere Band und wir teilen uns die Verantwortung“. Das war wie ein Durchatmen. Und es hat bei mir und Nils einfach klick gemacht. Er war für mich wie ein älterer Bruder, von dem ich was lernen wollte, und er von mir als kleinem Bruder ebenso. Die Arbeit an unseren gemeinsamen Songs hat uns beide fasziniert.
Auch das „Kid Kopphausen“-Debüt lief sehr erfolgreich, doch euer Projekt endete bereits kurze Zeit nach der ersten Tour, da Nils überraschend mit gerade mal 46 Jahren starb. Daraufhin hast du dich musikalisch erst einmal zurückgezogen, bis dich Olli Schulz als Bassisten für eine Tour in seine Band geholt hat. Wie wichtig war, im Rückblick betrachtet, dieser Schritt damals für dich?
Der war schon sehr wichtig. Zur gleichen Zeit bin ich auch noch mal mit meinen Mitmusikern der „Kid Kopphausen“-Band auf Tour gegangen, weil wir das Bedürfnis hatten, diesen ganzen Scheiß auf der Bühne zu verarbeiten – diese Tour war interessant und ebenfalls sehr wichtig. Die Proben waren ein einziges Gejamme, bei der wir alle Lieder komplett durch den Wolf gedreht haben. Das waren am Schluss zum Teil komplett andere Versionen, das hat die Leute auch hier und da verwirrt. Aber wir hatten großen Spaß auf der Tour, das war eine große Feier des Lebens. Die Konzerte haben uns sehr geholfen, unsere Trauer zu verarbeiten. Und Ollis Angebot hat mich sehr gefreut, weil es mir sehr gut getan hat, einfach wieder als Bandmusiker auf der Bühne zu stehen, Bass zu spielen und mich hinter Ollis Fame so ein bisschen verstecken zu können. Das hat viel von dem Druck genommen, gleich wieder ein neues Album schreiben und abliefern zu müssen.
Nach der Tour hast du begonnen, auch wieder eigene Musik zu spielen. Auf Einladung des „Goethe Instituts“ bist du für ein Projekt mit der Band „Pallett“ aus Teheran in den Iran gereist. Wie war das für dich? Und wie ist es generell, mit deinen deutschsprachigen Songs im Ausland zu spielen?
Ich finde es immer sehr schön, solche Einladungen zu bekommen. Auch, weil diese Länder, die ich besuchen darf, nicht unbedingt ganz oben auf meiner Reiseliste stehen. Den Iran kannte ich eigentlich auch nur aus Schlagzeilen und dachte, das ist mir zu heikel, dort hinzufahren. Und gerade diese Reise hat mich sehr geprägt, weil die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, so rührend und herzlich mit uns umgegangen sind. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Konzerte finden meistens vor Leuten statt, die am „Goethe Institut“ Deutsch lernen oder Deutschen, die dort leben und arbeiten. Das sind manchmal etwas steife Veranstaltungen, aber ich kann mich an zwei Konzerte erinnern, die ich mit der Band in Russland gespielt habe, die sehr gut abgegangen sind. Es sind für mich eher die interkulturellen Begegnungen abseits der Bühne, die ich an diesen Reisen spannend finde. Dass ich dort auch noch meine Musik spielen darf, ist eher wie ein Bonus für mich.
Nach sieben Jahren Solopause erschien 2017 dein aktuelles Album „Das Licht dieser Welt“, das sich durch melancholische, mitunter hoffnungsvolle und stets sehr persönliche Geschichten auszeichnet. Sind deine Texte eigentlich alle autobiografisch bzw. haben einen realen Hintergrund? Was inspiriert dich?
Der Großteil der Texte bezieht sich auf Momente aus meinem Leben oder anderen Erlebnissen, von denen ich mitbekommen habe. Anderes kann ich mir auch nur gut vorstellen, wie bei diesem Lied „Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand“ – das ist komplett erfunden. Da habe ich einfach über Einsamkeit in der Großstadt nachgedacht. Angestoßen wurde die Idee aber durch eine alte Dame, der ich mal geholfen hatte, ihre Einkäufe nach Hause zu tragen und mit der ich an Silvester auch einen Sekt getrunken hatte. Die entpuppte sich dann als ziemlich verrückt, aber irgendwie habe ich nach dieser Begegnung über solche Existenzen nachgedacht und dann kam dieses Lied dabei raus, das nichts direkt mit dieser Dame zu tun hat, aber mit der Einsamkeit alter Menschen in der Großstadt. Dann gibt es Lieder wie „Das Licht dieser Welt“, das auch nichts mit meinem Leben zu tun hat, da ich keine eigenen Kinder habe. Ich habe mir aber vorgestellt, wie das ist, wenn man Vater wird, und was man seinem Kind dann gerne mit auf den Weg geben möchte. Ich erlebe einfach Dinge und die finden dann ihren Weg in meine Songs.
Parallel zur Produktion von das „Licht dieser Welt“ hast du erstmals seit „Kid Kopphausen“ wieder ein Bandprojekt in Angriff genommen. Gemeinsam mit Produzent Moses Schneider (u. a. „Beatsteaks“) und Tobias „der dünne Mann“ Friedrich seid ihr als „Husten“ unterwegs. Was gibt dir die Band, was du solo nicht mit anderen Musiker:innen umsetzen kannst?
Wir drei sind sehr unterschiedliche Leute und das ist spannend. Und vielleicht finde ich gerade das interessant – zu sehen, wo es denn hingeht, wenn ich mit meiner melancholischen Songidee ankomme und Moses dann sagt: „Nee, lass uns die Leute mal nicht deprimieren, wir machen das mal so und so“. Und er liefert dann immer Ideen, auf die ich nie kommen würde. Bei „Husten“ haben wir uns bewusst keine Grenzen gesetzt. Natürlich hat es auch was für sich, wenn man seine eigene musikalische Vision komplett für sich verwirklichen kann, aber es macht mir immer Spaß, mich mit anderen Köpfen auszutauschen, deren Input zu bekommen und zu sehen, wo das hinführt. Ich arbeite eigentlich gar nicht gerne allein und habe schon immer gerne in einer Band gespielt. Teil von einer Gang zu sein, fand ich immer spannend, und bei „Husten“ ist das so. Und natürlich finde ich es auch hier wieder angenehm, dass wir uns die Verantwortung teilen.
Deine Soloarbeiten, Konzertreisen mit dem „Goethe-Institut“, die Band „Husten“ und dann gibt es da noch das gemeinsame Projekt mit Kai Schumacher („Lass irre Hunde heulen“), das die Lieder von Franz Schubert in neuem musikalischem Gewand auf die Bühne bringt. Was treibt dich an, immer wieder neue künstlerische Pfade zu beschreiten? Neugier? Der Wunsch nach Abwechslung?
Beides, denke ich. Ich bin auf jeden Fall immer neugierig, langweile mich aber auch schnell. Daher möchte ich immer wieder auch gerne neue Sachen ausprobieren. Ich habe kein Interesse an einer linearen Musikkarriere. Dazu finde ich die ganzen anderen Wege und Abzweigungen viel zu spannend. Und ich freue mich, wenn möglichst viele Leute diese Wege mitgehen, bin aber auch nicht böse, wenn manche Leute meine Sachen hier und da nicht so ganz nachvollziehen können.
Bei deinen eigenen Konzerten hast du schon des Öfteren im Duo mit dem Vibraphonisten Karl Ivar Refseth zusammengespielt, mit dem du auch in der „Centralstation“ zu Gast sein wirst. Was zeichnet diese Abende mit ihm für dich aus?
Diese Konzerte mit Karl Ivar sind dieses Jahr ja quasi die einzigen Konzerte, wo ich meine Lieder spiele, was ja eher besonders ist. Die Zusammenarbeit mit Karl Ivar ist ziemlich außergewöhnlich, denn ein Vibraphon liegt in einer Duobesetzung bei meinen Singer/Songwriter-Songs als Begleitinstrument nicht unbedingt auf der Hand. Karl Ivar ist aber ein Ausnahmemusiker und wie meisterhaft und vielseitig er sein Instrument einsetzt, ist sehr beeindruckend. Das hat fast schon etwas „Spirituell-Erhabenes“, wenn er mit einem Geigenbogen an den Metallplatten entlangstreicht. Da kommt man in so eine Art Klangrausch. Und dann kann er im nächsten Moment eine irrsinnige, sehr perkussive Power entwickeln, die man auch von seinen Konzerten mit „The Notwist“ kennt. Das ist sehr spannend, auch, weil ich es gut finde, meine Lieder immer wieder neu zu interpretieren und neu entdecken zu können. Meine Lieder entwickeln irgendwann ihr Eigenleben.
Du warst unlängst erst in der alten Heimat, genauer bei dem von dir aus der Taufe gehobenen „Heimspiel Knyphausen“, einem feinen und mittlerweile sehr bekannten Festival, das ihr alljährlich auf dem elterlichen Weingut in Eltville am Rhein stattfinden lasst. Was bedeutet dir das Festival?
Ich empfinde es als Geschenk, dass wir all diese großartigen Bands bei uns zu Hause auf der Wiese, auf der ich als Kind Fußball gespielt habe, spielen lassen können. Wenn ich dann Bands wie „Dry Cleaning“, „Meute“ oder jetzt das Klavierkonzert mit Chilly Gonzales bei uns auf dem Hof erlebe, ist das immer wieder ein ziemlicher Flash. Und ich bin immer gerührt, wenn ich Feedback aus dem Publikum bekomme. Das sind so liebe, entspannte Leute und die Atmosphäre ist absolut friedlich beim „Heimspiel“. Das ist einfach schön.
Wie sehen deine nächsten Schritte aus? „Das Licht dieser Welt“ liegt sechs Jahre zurück, was sicher auch an zwei sehr eingeschränkten Jahren – aus bekannten Gründen – liegen mag, in denen es bei vielen Künstler:innen in Sachen Kreativität nicht zum Besten bestellt war. Die Nachfrage nach einem dritten Soloalbum wird allerdings immer größer. Da liegt die Frage natürlich nahe, wie's denn um eine neue Platte bestellt ist?
Zu den Zeiträumen, die zwischen meinen Alben liegen, muss man natürlich sagen, dass ich ziemlich viele andere Sachen in der Zwischenzeit mache. Mit „Husten“ haben wir zum Beispiel in den vergangenen Jahren jedes Jahr eine neue Platte rausgebracht. Und ich bin dieses Jahr mit den verschiedenen Projekten sehr viel auf Tour. Aber ich hatte ja schon erwähnt, dass es mit meinen Solosachen immer etwas dauern kann, weil ich auch Zeit für meine ganzen anderen kreativen Ausflüge finden möchte. Wenn aber so ab November das Touren so langsam rum ist, fängt für mich eine neue Schreibphase an und ich werde ein neues Gisbert-zu-Knyphausen-Album angehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
www.gisbertzuknyphausen.de
www.facebook.com/gisbertzuknyphausenmusik
FRIZZmag präsentiert: Gisbert zu Knyphausen (mit Karl Ivar Refseth) live
Do., 7.9., 20 Uhr, Centralstation, Darmstadt
FRIZZmag verlost 3x2 Tickets
Bitte sende eine E-Mail mit deinem vollständigen Namen und Kontakt an verlosung@frizzmag.de.
Betreff: Gisbert zu Knyphausen
Einsendeschluss: 2.9.2023
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