„Was berührt, das bleibt“, das aktuelle Album von Enno Bunger, ist eine berührende musikalische Reise sehr persönlicher Art. Im Interview spricht der norddeutsche Musiker über Trauer, Erfolg und neue Perspektiven.
FRIZZmag: Die letzten Jahre waren eine schwere Zeit für dich: Zuerst erkrankte Lena, die Freundin deines besten Freundes und Schlagzeugers Nils Dietrich, an Leukämie. Dann erhielt auch deine eigene Freundin Sarah eine Krebsdiagnose. Diese Zeit hast du zu großen Teilen in den Songs deines neuen Albums verarbeitet. Was geht dir heute durch den Kopf, wenn du diese Lieder hörst oder auf der Bühne spielst?
Enno Bunger: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal bin ich durch ein Lied unmittelbar in der Situation von damals und dann denke ich aber sehr schnell wieder positiv und versuche, das, was wir zusammen durchlebt haben, als Motivation zu sehen, die verbleibende Lebenszeit nicht zu verschwenden, sondern das Beste aus ihr zu machen. Sich nicht zu sehr zu stressen, sondern das Leben zu genießen und Sinnvolles zu tun.
Zwei Schicksalsschläge im jungen Alter, so kurz hintereinander. Wie behält man da sein Grundvertrauen an das Leben?
Schwierig. Das Leben ist einfach nicht fair. Das wird schon offensichtlich, wenn man sich ansieht, wie ungerecht der Wohlstand auf dieser Erde verteilt ist. Und auch als Sarah und Lena damals mit 23 bzw. 28 Jahren an Krebs erkrankt sind, hat sich das auf eine gewisse Weise „ungerecht“ angefühlt. Aber man kann sich so etwas nicht aussuchen, sondern nur versuchen, in solchen destruktiven Situationen konstruktiv zu sein. Das versuche ich auch in meiner Musik.
Wie waren denn die Reaktionen deiner Fans auf das Album?
Ich habe ja immer ziemlich emotionale Musik gemacht. Meine bisherigen Alben bestanden zu 90 Prozent aus persönlichen Songs. Aber bei diesem Album war das Feedback der Fans nochmal deutlich stärker. Ich habe sehr viele, zum Teil sehr lange und sehr persönliche Nachrichten, Lebensgeschichten von fremden Leuten erhalten. Das ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man sich in seinen Texten öffnet und so viel Offenheit von den Leuten zurückkommt. Es ist wunderbar, dass man mit Musik offensichtlich doch einiges an Empathie wieder in die Gesellschaft bringen kann, die da ja leider heutzutage hier ein ziemliches Defizit hat und kalt wirkt.
Das neue Album war ein Charterfolg, erhielt sehr gute Kritiken und generell viel Aufmerksamkeit. Wie fühlt sich das für dich an? Mit sehr persönlichen Songs über ein sehr trauriges Thema großen Erfolg zu haben?
In erster Linie bin ich sehr dankbar. Es gab auch schon bei meinen früheren Platten kontroverse Meinungen und auch beim aktuellen Album gehen die Meinungen teilweise auseinander. Manche halten es für „die tollste Platte“ und anderen ist das alles zu „pathetischer Scheiß“. Da kann ich nur sagen, dass ich gerne auf diese Zeit verzichtet hätte, diese aber durch Musik zu verarbeiten, geholfen hat. Dass diese Lieder etwas pathetisches haben, wundert mich nicht sonderlich, wenn man bedenkt, wie sie entstanden sind. Zunächst habe ich diese Stücke nur für mich geschrieben. Songs zu schreiben ist für mich eine Form der Selbsttherapie.
Bei aller Traurigkeit und Ernsthaftigkeit hat „Was berührt, das bleibt“ auch viele helle, optimistische Momente.
Es war mir auch sehr wichtig, dass das rüberkommt. Denn das ist auch, was Lena uns mit auf den Weg gegeben hat. Die Dinge und das Leben weiter positiv zu sehen. Auch wenn „Was berührt, das bleibt“ gewissermaßen eine Trauerarbeit ist, soll man aus den Songs etwas Positives ziehen können. Denn alles andere bringt einen nicht weiter. Man sollte sich Zeit zum Trauern einräumen, aber nur jammern hilft nicht weiter.
Der Song „Ponyhof“ ist eine Ode an deinen Freund und langjährigen Mitmusiker Nils. Welche Auswirkungen hatte diese schwere Zeit für eure Freundschaft?
Wir haben noch einmal mehr gelernt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Wir haben uns früher oft wegen Kleinigkeiten gestresst und haben uns manchmal auch in der Band unter Druck gesetzt. Zum Beispiel in der Erwartungshaltung oder wenn man vor einem Konzert mal spät dran ist. Und das ist so unnötig. Wir haben für uns gelernt, die Dinge einfach entspannter anzugehen. Und man lernt in solchen Phasen auch die kleinen Dinge, die man früher vielleicht gar nicht mehr so wahrgenommen hat, wieder mehr wertzuschätzen.
Schwere Krankheiten wie Krebs, das Sterben und der Tod scheinen für viele Menschen Tabuthemen zu sein, die gerne verdrängt werden. Warum ist das so?
Jeder Mensch geht ganz unterschiedlich mit diesen Themen um. Und das ist auch okay, denn es gibt da kein Richtig und kein Falsch. Lena ist mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit gegangen, um auf die Krankheit aufmerksam zu machen. Und auch, damit sich mehr Leute für die DKMS typisieren lassen und mehr Patienten geholfen werden kann. Das war ihr ein sehr wichtiges Anliegen. Denn auch ihr wurde durch eine Spende geholfen, sodass sie noch ein schönes letztes Jahr erlebt hat und sie und Nils noch heiraten konnten.
„Das ist eine sehr besondere Platte und ich hoffe und glaube auch, dass ich so ein Album nie wieder schreiben werde“ hast du über „Was berührt, das bleibt“ gesagt. Kannst du für dich nach dieser Platte so etwas wie ein Fazit ziehen? Der Text von „Niemand wird Dich retten“ liest sich beispielsweise ein bisschen so – am Ende muss man sein Leben immer selbst gewuppt bekommen.
Ja, das kann man auch durchaus als Fazit stehen lassen. Das ist ein Song, der ziemlich zum Schluss entstanden ist, bei dem ich auch meinen Humor so langsam wiedergefunden habe. Aber die Dinge selbst in der Hand zu haben, ist ja nicht unbedingt eine Bürde, sondern man sollte sich auch darüber freuen, dass man die Dinge selbst regeln kann und darf. So sehe zumindest ich das.
Wie geht man nach so einer persönlichen Platte zur künstlerischen Tagesordnung über? Hast du schon Ideen für ein neues Album?
Ja, eine ganze Menge sogar. Aber das nächste Album soll gesellschaftlicher werden. Ich möchte auf der nächsten Platte mal wieder etwas mehr von mir weg. Ich hatte schon parallel zur jetzigen Platte einige politischere Songs geschrieben, die aber bewusst nicht mit aufs Album genommen, weil das in sich nicht stimmig gewesen wäre.
Der englische Begriff „Bucketlist“ beschreibt eine Liste der Dinge, die man vor seinem Tod unbedingt noch machen sollte. „Bucketlist“ heißt auch ein Song deines neuen Albums. Was steht denn auf deiner Liste ganz oben?
Nichts bestimmtes eigentlich. Ich möchte noch ganz viel Musik machen, sehr gerne auch mal rein instrumentale und auch elektronische Musik. Und ich würde noch gerne sehr viel reisen, muss aber mal schauen, wie ich das ohne Flugzeug hinbekomme, denn ich habe Flugscham. Vielleicht setze ich mich irgendwann im Sommer aufs Rad und fahre einfach los.
Vielen Dank für das Gespräch.
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FRIZZmag präsentiert: Enno Bunger live
Mo., 30.3., 20 Uhr, Centralstation, Darmstadt