Seit ihrer Gründung in den 80er Jahren erfinden sich „Die Goldenen Zitronen“ immer wieder neu. Stilistisch spannen sie hierbei einen weiten Bogen und sind bis heute enorm kreativ. Eindrucksvoller Beleg: Das neue Album „More Than a Feeling“. FRIZZ traf Schorsch Kamerun zum Gespräch.
FRIZZmag: Ihr seid in den 80er Jahren als Punk-Band in Hamburg zusammengekommen und habt über die Jahrzehnte ziemliche Metamorphosen durchlaufen. Inzwischen haben „Die Goldenen Zitronen“ mit diversen musikalischen Spielarten von Elektro über HipHop bis Jazz und vielem anderen mehr experimentiert. „Punk“ ist eigentlich nur noch der Name.
Schorsch Kamerun: Das Thema ist eigentlich lange durch. Kein Mensch weiß heute mehr, was Fun-Punk ist. Interessant könnte in unserm Fall sein das wir in diesem einen Genre starteten und danach sehr unterschiedliche, teils gegenläufige Dinge probierten. So eine Entwicklung innerhalb einer Band findet man schon eher selten. Befreundete Gruppen wie Die Ärzte haben ihre Spielweise und ihren Status von damals einfach sukzessive ausgebaut, wir dagegen wollten immer weiter heftig experimentieren.
In euren Texten steckt dabei noch jede Menge Punk-Attitude. Euer neues Album „More Than A Feeling“ geizt nicht mit Systemkritik, etwa im Song „Die alte Kaufmannsstadt Juli 2017“, der die Ereignisse rund um den G20-Gipfel in Hamburg thematisiert. Musikalisch erinnert das Album jedoch mehr an Elektrosachen aus den 70ern. Ist „Krautrock“ jetzt das bessere musikalische Gewand für eure Texte?
Ich glaube, dass wir intuitiv verschiedene Richtungen durchgehen, gar nicht nur konzeptionell, sondern einfach, weil wir die jeweilige Sachen entweder aktuell hören, oder weil sie uns als brauchbar irritierend erscheinen. Bei den letzten Platten klangen wir ein bisschen „krautig“, das stimmt schon. Aber im Moment hören wir viel klassische Moderne oder auch afrikanische Musik. Und so was wie „Moondog“ genauso wie Kendrick Lamar. Ich glaube nicht, dass wir heute noch eine klare Schublade bedienen. Wir machen schon sehr lange Musik und haben viele Stile durch - nicht nur beim Machen, auch beim Hören, beim darüber Reden. Wir versammeln da ein sehr breites Spektrum innerhalb der Band. Auch beim Texten. Wir sind ja eher weniger die Songwriter oder Storyteller, sondern bearbeiten meist aktuelle, oft diskursive Themen auf unseren Alben.
Auf dem neuen Album singt ihr „das war unsere BRD“. Da schwingt viel Nostalgie mit. Wie schaust du heute auf diese Jahre?
Da hängt ein Schleier drüber. Wie ein Filter der alles zu „Derrick“- Filmen, zu Bildern und Tönen aus einer etwas betäubten Zeit macht. Übrig bleiben Erinnerungen und Wahrnehmungen, die als seltene Farben oder Gerüche herausstechen. Auch waren die Parameter, die Autoritäten in der alten BRD anders. Staat, Politik, Eltern, Ausbilder hatten damals einen rigiden Autoritätsanspruch, das ist heute nicht mehr so denkbar. Und wenn ich an die RAF-Zeiten, Rasterfahndung und solche Dinge denke… die Guten und die Bösen, das war sauber verteilt. Man hatte eine klarere Vorstellung davon, was „Staat“ ist. Und dann dieses aufgedrehte, zotige Neubürgerliche, die hysterischen Partykeller und Stammtische, mit ihren aggressiven Frivolitäten. Das hat sich verändert, obwohl es teils in AFD-artiger Rhetorik Comebacks ungeahnt erlebt...
Beim Hören des Songs fällt einem schnell auf, dass vieles aus der damaligen Zeit heute wieder enorm hip ist. „Früher war alles besser“ heißt es immer wieder. Woher rührt der Wunsch der Leute nach der guten alten Zeit deiner Meinung nach?
Das ist die Reaktion vieler Leute auf heutige Komplexität. Die erleben wir vielleicht auch und doch reagieren wir völlig anders. Nämlich nicht mit Festhaltenwollen oder härteren Grenzsetzungen. Bei uns verhält es sich regelrecht konträr: Wir haben Lust auf „das Fremde“, wünschen uns Überraschung und Unbekanntes. Wir haben auch keine Ängste, etwas abgeben zu müssen, etwas verlieren zu können, weil wir stets auf internationales Denken setzen. Somit können wir auch kaum als „Globalisierungsopfer“ empfinden. Wir halten die Globalisierung eher wegen ihren ökonomischen Aggressionen für problematisch, beispielsweise. Die Dominanz von ausgrenzender Politik oder die Entfesselung der monopolisierten Märkte. Engere Grenzen sind unserer Meinung nach die jeweils falsche Antwort.
Sind schwierige Zeiten eigentlich gute Zeiten für Songschreiber?
Interessante Frage. Erstmal glaube ich, dass sich niemand gern oder freiwillig in einer schlechten Umgebung aufhalten mag. Da hat man ja nicht gerade Bock drauf. Autoritäres von früher drückt sich heute subtiler aus, ist bis in die „Geschäftsführung des Selbst“ eingedrungen. Daher funktionieren manch sehr direkte, protestierende Sachen hier heute nicht mehr. Beispiel „Pussy Riot“, die ich Russland verstehe. Aber hier wäre ein Punk-Gebet in einer Kirche sicher keine funktionierende Irritation mehr, fühlte sich eher nach Guerilla- Marketing an. Ich halte unseren automatisierten Kapitalismus auf jeden Fall für keineswegs milder oder gar gerechter – im Gegenteil. Die Themen gehen uns also erstmal nicht aus....
Wenn ich an eure Anfänge mit „Porsche, Genscher, hallo HSV“ zurückdenke, kommt mir unweigerlich eine weitere Punk-Band, die etwa zeitgleich mit euch angefangen hat, in den Sinn. Heute könnten „Die Toten Hosen“ und „Die Goldenen Zitronen“ kaum weiter voneinander entfernt sein. Oder siehst Du heute auch noch Gemeinsamkeiten mit Campino und Co?
Was wir heute musikalisch machen, kann man schon als sehr unterschiedlich bezeichnen. Trotzdem sind wir beide schon auch Rockbands, besetzt mit weißen, älteren Männern. Nur geben wir Rockmusik als etwas Widersprüchliches wieder, suchen darin unseren zentralen Ausdruck und müssen unser Auftreten immer wieder brechen und hinterfragen, um es überhaupt auszuhalten. Das ist bei den „Toten Hosen“ anders. Sie schöpfen aus „Rocken“ weiterhin ihre Power, die sie immer noch vorwärts treibt. Trotzdem, wir haben jenseits des unterschiedlichen Ausdrucks schon einige weitere Gemeinsamkeiten. Etwa im politischen Grundanliegen. So spenden „Die Toten Hosen“ für „Pro Asyl“ zum Beispiel. So ein Bandvergleich ist eben recht komplex. Ehrlich gesagt finde ich es ein bisschen schnarchig, unentwegt Unterschiede herausarbeiten zu wollen auf diesem Feld. „Die Toten Hosen“ sind für mich auf jeden Fall kein Feindbild (lacht), sondern in erste Linie gute Freunde geblieben über die vielen Jahre.
Gegenüber der Plattenindustrie zeigen sich „Die Goldenen Zitronen“ seit jeher kompromisslos. Du bist seit Jahren auch im Bereich der staatlich subventionierten Hochkultur anzutreffen, unter anderem als Autor und Theaterregisseur. Wird man dabei nicht auch vom System umarmt?
Nicht einfach so. Ich kann dort meine Themen und Texte völlig unzensiert auf die Bühne bringen. Aktuell mache ich ein Musiktheaterstück, was in der Baugrube von „Stuttgart 21“ laufen soll – da wird es Texte geben, die auch bei den „Goldenen Zitronen“ vorkommen, zu meinen Aufführungen kommt meist ein ähnliches Publikum. Aber auch diese beiden Bereiche, also Hoch- und Subkultur, zu vergleichen, ist eine recht vielschichtige Angelegenheit, wo die Klischees selten einfach so stimmen. Die Popkultur ist zum Teil gar widersprüchlicher als die so genannte Hochkultur. Wenn wir beispielsweise auf einem Festival spielen, finden wir es nicht selten schwierig, dass das tausend Sponsoren mitfinanziert haben. Irgendwelche Getränkemarken, und so. Das Theater dagegen lebt pur von seinen Subventionen, welche Kommunen sich demokratisch leisten – oder eben nicht. Klar gibt es an den Stadtbühnen weiter teils uralte Hierarchien. Was ich an der „Volksbühne“ und anderen Häusern mache, ist aber nicht unbedingt „bürgerlich“ zu nennen in seinem Auftreten, glaube ich.
Wäre denn die Arbeit am Theater auch ein Thema für „Die Goldenen Zitronen“ gewesen? Andere, ähnlich gelagerte Bands wie „Kante“ oder „Die Nerven“ waren bereits sehr erfolgreich Teil von Theaterproduktionen.
Nein, das war nie ein Thema. Und ich fände es auch scheußlich, wenn wir dort so auftreten würden wie das allgemein eingesetzt wird. Oder sagen wir: Ich mag’s einfach nicht! Es ist ein völliger Irrtum, zu glauben, eine Rockband würde in einem Theater genauso funktionieren wie in einem Club. Das ist ja ein sehr physischer Moment, wenn die Band mit ihrem Publikum im Club zusammenkommt. Aber wenn die Band im Theater spielt und die Leute da sitzen mit ihren Köpfen aber ohne Körper dann ist das höchstens ein guter Zwischenmoment wegen der Lautstärke oder so. Mehr aber auch nicht. Ich selbst wünsche mir auf keinen Fall mehr Rockmusik im Theater! Es hat schon seinen Grund, warum Musik im Theater eher mit klassischen Instrumenten oder Elektronik arbeitet. Die Musik im Theater vertont eher die Bühne und kann wunderbar Empfindungen verkehren, von dem, was man sieht. Sie „rockt“ aber nicht die Bühne. Das Theater folgt ganz anderen Gesetzen.
Von den Gründungsmitgliedern der „Zitronen“ sind nur noch du und Ted Gaier übrig, die Gruppe war lange mehr ein Kollektiv denn eine klassische Band. Die aktuelle Besetzung spielt nun aber schon seit fast zwanzig Jahren zusammen. Warum funktioniert sie so gut?
Die Mitglieder sind jetzt vielleicht einfach geeigneter. Das sind ja ganz unterschiedliche Leute: Mense ist unser Produzent sozusagen, unsere beiden Drummer Enno und Stephan sind zwei sehr gute Schlagzeuger mit ganz unterschiedliche Temperamenten und Thomas ist der Mensch mit dem größten Harmonieverständnis bei uns. Das ist einfach eine sehr günstige Melange, eine tolle, jammende Gruppe mit großem Spektrum. So entstehen ja auch unsere Platten mittlerweile: Wir treffen uns, spielen los, sortieren und dann kommen erst langsam die Texte dazu. Das hätten wir mit den früheren Mitgliedern so nicht hinbekommen, weil die längst nicht so beweglich waren. Wir brauchten da was Vielschichtigeres, und das haben wir nun schon seit geraumer Zeit gefunden.
Wie sieht die Zukunft für „Die Goldenen Zitronen“ deiner Meinung nach aus? Ihr seid mittlerweile über 35 Jahre unterwegs... eine lange Zeit.
So eine Gruppe muss ja Verschiedenes leisten. Man muss sich treffen und immer wieder zu etwas kommen. Das könnte gut so weitergehen, glaube ich, also falls wir uns auch menschlich aushalten. Wir können uns künstlerisch gut inspirieren und sind uns in vielen Dingen sehr einig. Auch textlich gibt es eine weitgehende Übereinkunft. Das kann ja eventuell auch irgendwann mal versiegen, aber im Moment fühlen wir uns noch und immer wieder neu aufgerufen, uns als Band einzumischen. Und auch die andere Seite, auf Tour zu gehen etc., funktioniert. Ob das immer so bleiben wird, kann ich nicht sagen. Letztlich sind wir auch einfach eine Rockband mit allem, was eine solche halt ausmacht: in den Bus steigen, Soundcheck machen, sich verstehen müssen, die Nächte und Morgen gemeinsam erleben und all das. Aber die letzte Tour lief erstaunlich flüssig, da gabs keinen Druck oder so. Wir waren alle ziemlich relaxed- meistens. Das hat sich so ein bisschen nach Jazzgruppe angefühlt. Und als Jazzer lässt es sich würdig altern.
Vielen Dank für das Gespräch. Die Goldenen Zitronen live: Sa. 5.10., 20 Uhr, 806qm, Darmstadt Weitere Infos hier.
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