Der „Tierschutzverein für das Großherzogtum Hessen“ wurde am 24. März 1873 im Bankettsaal der Freimaurerloge in Darmstadt gegründet. Seitdem wurde der Verein mehrfach umbenannt, das Tierheim im zweiten Weltkrieg zerstört und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Kurz: Verein und Heim haben in den letzten 150 Jahren viel mitgemacht. Toll, dass hier immer noch wertvolle Arbeit passiert – heute mehr denn je. FRIZZmag: Alles Gute zum 150. Geburtstag! Was hat sich in all der Zeit denn hinsichtlich des Konzepts „Tierschutz“ verändert? Ulrike Weber: Tierschutz war damals etwas anderes. Die Aufgaben lagen bei Problemen der Hundefuhrwerke und Zugtiere, der Pferdedroschken und des Kupierens von Pferden. Themen, die heute aktuell sind, wie Schlachtungen, Lebendtiertransporte und Tierversuche kamen dazu. Über die Tierschutzprobleme und Lösungsmöglichkeiten wurde vor allem in Öffentlichkeitsarbeit informiert. Dinge, die uns heute beschäftigen, haben in erster Linie mit Tieraufnahmen und -abgaben im Tierheim zu tun. Wir leisten viel Aufklärungsarbeit darüber, was es bedeutet, sich ein Haustier anzuschaffen, kümmern uns aber auch um verwahrloste Tiere aus schlechten Züchtungen oder Animal Hoardings (krankhaftes Sammeln von Tieren). Ein Problem ist auch der Tierhandel im Internet. Deshalb legen wir Menschen ans Herz, sich an Tierheime, Tiertrainer oder registrierte Züchter zu wenden. Wer unbedingt ein Rassetier möchte, kann gezielt bei Organisationen schauen, die die Rasse vermitteln. Fazit ist: Die Problematik im Tierschutz ist nach wie vor dieselbe, die Masse an Tieren und Problemen hat aber massiv zugenommen. Der Verein ist auch Teil bei verschiedenen Projekten, unter anderem bei einem Stadttaubenprojekt, dessen Ziel es ist, die Population tierschutzgerecht zu reduzieren, und beim Projekt „Verwilderte Hauskatzen“. Was passiert denn da genau und warum? Seit 2013 haben wir als Tierschutzverein gemeinsam mit der Stadt, dem Amt für Veterinärwesen und dem Ordnungsamt versucht, eine Lösung für das Problem verwilderter Hauskatzen zu finden. Seit 2015 gibt es in Darmstadt, der ersten Stadt in Hessen, nun eine Katzenschutzverordnung. Darin wird geregelt, dass Freigängerkatzen gekennzeichnet und registriert sein müssen und ab einem bestimmten Alter nur noch kastriert nach draußen dürfen. Grund für die Verordnung war die steigende Population an Wildkatzen. Mittlerweile ist das Problem innerhalb der Stadt gut zurückgegangen. Welche Tiere warten denn im Tierheim zurzeit auf ein Zuhause? Es sind meistens mehr Katzen als Hunde bei uns. Durch unsere Katzenzimmer können wir einfach mehr Katzen als Hunde beherbergen. Zurzeit ist es so, dass wir sehr viele Sicherstellungen von Züchtern bekommen, die ohne Genehmigung gezüchtet haben. Auch Tiere aus Animal Hoarding haben wir in den letzten Jahren wesentlich mehr als damals. Dieses Thema betrifft aber auch Hunde. 2022 hatten wir 278 Katzen, 181 Hunde und 195 Kleintiere wie Kaninchen und Meerschweinchen. Seit Längerem leben außerdem fünf Minischweine bei uns, die gar nicht so mini sind. Schlechte Zuchten, Tiersammler sind schon zwei Gründe, dass Tiere zu euch kommen. Welche Anlässe gibt es außerdem? Werden Hunde, Katzen und Kaninchen auch noch vor den Ferien ausgesetzt oder hat das abgenommen? Ausgesetzte Tiere in der Ferienzeit sind weniger geworden, es gibt sie aber noch. Genauso wie Kisten mit Tieren, die am Feldrand abgestellt werden. Generell sind die Gründe, warum Tiere bei uns landen, immer wieder dieselben: weil sie unbedacht angeschafft wurden, nicht mehr ins Lebenskonzept passen, zu alt sind oder zu teuer werden. Wir haben den Eindruck, dass die Menschen verantwortungsloser geworden sind. Sie wollen Tiere haben, aber die Realität geht mit dem Wunschdenken nicht überein. Was halten Sie denn vom Tier unterm Weihnachtsbaum? Nach einer gut bedachten Entscheidung hört sich das nämlich nicht an, oder? Nein und das ist es meistens auch nicht. Daher vermitteln wir vor Weihnachten keine Tiere. Wir bieten an, eine Patenschaft zu übernehmen und wenn jemand das Tier im Januar noch möchte, kann er gerne vorbeikommen. Kaninchen werden besonders gerne an Kinder verschenkt, dabei sind Kaninchen gar nicht für Kinder geeignet – sie mögen es nicht, herumgetragen zu werden. Bei der Anschaffung eines Tieres ist es stets wichtig, auch auf seine Bedürfnisse zu achten. Ein Thema, das dem Tierheim gerade Sorgen bereitet, ist eine geplante ICE-Neubaustrecke, die entlang des Geländes verlaufen wird. Was ist hier der aktuelle Stand? Wir sind auf der Suche nach einem neuen Grundstück, das den Anforderungen für ein Tierheim entspricht. Das Problem liegt in der Finanzierung: Wer bezahlt sowas? Wir sind generell auf Spenden und Erbschaften angewiesen, um unsere Arbeit machen zu können, und müssen immer schauen, wie wir uns finanzieren können. Ganz Deutschland hat Tierheime, die sich am Existenzminimum bewegen. Die Unterstützung aus der Politik müsste besser werden. Für unseren Umzug hoffen wir sehr, dass sich eine Lösung auftut – vor allem zum Wohl für unsere Tiere.
tierschutzverein_darmstadt.vita 1934/35 wurde ein Gelände am Löscherwiesenweg übernommen, umgebaut und als Tierheim eröffnet. Bis 1938 war es erst Hunde- und Katzen-„Asyl“, wurde dann aber zu einem Tierheim mit Quarantänestationen, Futterküche, Hühnerhaus, Kaninchenställen, Bade- und Operationsraum. Im Krieg wurde das Tierheim schwer zerstört, konnte bis 1948 aber weiter bestehen. Später zwangen Geldverlust und geringe Mitgliederzahlen zur Einstellung des Betriebs. Nach einem provisorischen Tierheim in der Pallaswiesenstraße wurde 1954 das heutige Gelände gefunden.1957 wurde das neue und bis zum heutigen Tag bestehende Darmstädter Tierheim eingeweiht.