© Klaus Mai
Christoph Hentzen
Am 19. März 2017 wählen die Darmstädterinnen und Darmstädter ihren Oberbürgermeister. FRIZZmag stellt die Kandidaten im Interview vor, diesmal den Kandidaten der FDP, Christoph Hentzen. Die Fragen stellte Thea Nivea.
FRIZZ: Hallo Herr Hentzen, warum sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, für das Amt des OB zu kandidieren?
Christoph Hentzen: Ich glaube, dass man sich ab einem gewissen Alter stärker gesellschaftlich engagieren muss, wenn man auch eine gewisse Unabhängigkeit hat. Mit einer Berufspolitikerkarriere habe ich als Jugendlicher mal geliebäugelt, aber bereits als 17-Jähriger in Rheinland-Pfalz die Erfahrung gemacht, dass man das besser nicht ins Auge fasst. Damals war ich Kandidat des größten Kreisverbandes für den Landesvorstand der Jungen Union, hatte allerdings vom Podium des Landesparteitags dem Herrn Ministerpräsidenten einige kritische Fragen gestellt, was dazu führte, dass er beim Kreisvorstand intervenierte, und ich nicht in den Landesvorstand kam. Das hat mir gesagt, du wirst erst dann Berufspolitiker, wenn du unabhängig bist.
Das ist die Sache mit der Ochsentour in den Parteien. Die heißt ja so, weil am Ende der Tour nur noch die Ochsen übrig sind.
Das haben Sie so formuliert, ich habs gedacht.
Also, irgendwie ist ja klar, dass Sie keine Chance haben …
Das stimmt nicht!
… und das ist schon Ihre zweite chancenlose Kandidatur nach der für den Bundestag 2009. Warum macht jemand wie Sie das?
Ich glaube, dass Sie damit falsch liegen, dass Liberale keine Chance haben. Wir stellen in Dresden den Oberbürgermeister, und wir haben gerade putzmunter mit Alexander Putz die CSU aus dem Rathaus in Landshut geputzt. So werden wir das mit Jochen Partsch in Darmstadt machen. Wir spielen auf Sieg, nicht auf Platz.
Na ja, also Zyniker haben mal gesagt, dass FDP die Abkürzung wäre für fast drei Prozent. Mit wie viel Prozent wären Sie im ersten Wahlgang zufrieden?
Wir sind dann zufrieden, wenn wir in die Stichwahl kommen. Wir setzen auf die Stichwahl.
Sie sind im Echo zitiert, dass Sie gleich nach Ihrem Amtsantritt eine Bestandaufnahme machen wollen. Von welchem Bestand jetzt genau?
Wir haben ja in Darmstadt die große Liebe, unsere Gebäude nicht zu reparieren, sondern wir verfolgen die nachhaltige Strategie des Abrisses und des Neubaus. Das ist mir wieder bei einem Besuch der Wilhelm-Hauff-Schule aufgefallen, dort gehen alle Überdachungen zwischen den Gebäuden kaputt. Das gleiche Problem haben wir mit Turnhallen, ob in der Eleonorenschule oder in der Gutenbergschule. Man muss Gebäude rechtzeitig reparieren, dann hat man anschließend nicht wesentlich höhere Neubau- und Sanierungskosten. Dazu ist aber erst einmal eine Bestandsaufnahme des gesamten Gebäudebestands der Stadt erforderlich, um dann Prioritäten zu setzen.
Erklären Sie mal bitte vier wählergruppenrepräsentanten Menschen, warum sie Sie wählen sollen: mir, meiner grünen Mutter, meinem Vater und meiner Oma.
Für die Jugendlichen, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass wir bei der Bildungspolitik in Darmstadt wesentlich mehr integral vorgehen, und dass wir hier stärker die technische Bildung fördern, indem wir auch die Hochschulen und die Universität mit einbinden. Ich glaube auch, dass wir für Ihre Mutter gute Ansätze haben, wie sie Ökologie und kommunales Leben kombinieren kann. Mit unserem Approach, eine Gesellschaft zu machen, die uns die Waren, die wir in der Stadt einkaufen, auch nach Hause bringt, wollen wir den stationären Ansatz mit der Convenience des digitalen Zeitalters kombinieren. Das bietet auch für die Großmutter den Vorteil, dass sie weiter in ihrer Wohnung bleiben kann. Das bietet für alle die Chance, schön mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt zu fahren, weil wir die Sachen nicht mehr nach Hause tragen müssen. Und was war der Vater noch mal?
Ein frustrierter Sozialdemokrat.
Ja, (lacht) für den gilt: Wir brauchen frischen Wind in der Stadt, und der neue OB ist kein Kind aus dem Fleische der Sozialdemokraten wie der Grüne Jochen Partsch.
Die CDU stellt ja keinen OB-Kandidaten, sind CDU-Wähler für Sie eine spannende Zielgruppe?
Für uns sind alle Leute, die für Innovation stehen und Veränderungen wünschen, spannende Zielgruppen, wobei wir das auf einem konservativen Fundament aufbauend machen.
Sie leben seit 2004 in Darmstadt, Am Elfengrund. Früher bin ich mit meiner Oma da öfter entlang gefahren, und ich hab sie gefragt: Boah, warum wohnen wir nicht in so einem Haus? Und meine Oma hat gesagt: Wer da wohnt, der hats geschafft oder der hat nie schaffe müsse. Also, wie ist das bei Ihnen?
Ich habe in den letzten 30 Jahren in der Industrie an verschiedenen Stellen in Deutschland unternehmerische Verantwortung gehabt und habe mir das Haus selber finanziert. Im Übrigen ist es ein Mehrfamilienhaus, im Dachgeschoss sind zwei Wohnungen vermietet.
Also, es sieht nur von außen so aus wie ein kleines Landschloss und Sie bewohnen nicht alle 16 Zimmer.
Nein, (lacht) und wenn die Kinder aus dem Haus sind, werden wir auch noch eine dritte Wohnung vermieten.
Also, um es mit meiner Oma zu sagen, Sie ham erst geschafft und es dann geschafft.
Ja. (lacht) Die Oma war eine weise Dame.
Hatten Sie eine schwere Kindheit, weil Ihr Vater schon so früh gestorben ist?
Das hat, weil es überraschend kam, erst mal zu Unsicherheiten geführt. Am Ende des Tages ist es dann gut gegangen und hat sicher dazu geführt, dass ich in der Schule ein paar Briketts mehr draufgelegt habe.
Wo bitte ist Vallendar? Und wie wird man so, wenn man da aufgewachsen ist?
Vallendar liegt zwischen Koblenz und Neuwied am schönen Mittelrhein, und man hat einen wunderbaren Blick in die Eifel hinein. Und bei schönem Wetter konnte man bis Mayen sehen und schauen, wie Andrea Nahles als Kind aufgewachsen ist. Vallendar ist eine Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern und hat die Stadtrechte seit 1857.
Und was gibts da so, was man als Jugendlicher machen kann?
Die Stadt hat wenig geboten, sie war die Schlafstadt für Koblenz, wo damals noch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung saß.
Also ein spannendes Publikum.
Genau. Koblenz war ja zu meiner Jugendzeit noch die größte deutsche Garnisonsstadt.
Dann erst eine Lehre und danach zwei Studiengänge. Warum tut man sich das an, ist das das zweite Brikett?
Nein, (lacht) das war eine Erfahrung als kaufmännischer Lehrling, da war ich in der Abteilung Werksleitung und durfte mitbekommen, wie der kaufmännische Geschäftsführer und der Werksleiter sich über Lieferzeiten für feuerfeste Steine nach Nigeria gestritten haben. Ich habe nur so viel verstanden: Der Kaufmann hat die Probleme des Technikers nicht verstanden und der Techniker die Probleme des Kaufmanns nicht. Und ich sagte mir: Das darf dir im Leben nicht passieren.
Und das kriegt man auch so hin, immer zwischen Darmstadt und Saarbrücken …
Ich habe die eine Hälfte des Studiums in Darmstadt gewohnt, die andere Hälfte in Saarbrücken.
Wollen Sie später nach Vallendar zurück?
Nein.
Also auch nicht in der Rente?
Nein, das Elternhaus haben mein Bruder und ich vor einem Jahr verkauft.
Interessieren Sie sich für Fußball? Und gehen Sie auch freiwillig zu den Lilien?
Ich gehe gelegentlich ins Stadion, meine beiden Söhne sind regelmäßige Besucher. Der Ältere mit dem DRK als Helfer, der Kleinere hofft immer, dass er mit dem Vater ins Stadion gehen und mal wieder einen Sieg sehen kann. Noch ist nichts verloren.
Was sind Ihre politischen Ideale?
Ich bin der festen Überzeugung, dass Bildung der Schlüssel zum Aufstieg ist, deshalb habe ich auch das Projekt Technikschule hier in Darmstadt initiiert. Ich bin ein Verfechter des freien Marktes und des Wettbewerbs, ich glaube, dass darüber die meisten Innovationen zustande kommen. Jeder ist seines Glückes Schmied, das ist meine Überzeugung.
„Die vorrangige Funktion einer Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit der Armen zu schützen.“ Wer, glauben Sie, hat diesen Satz gesagt?
Mmh, (lacht) ich würde mal sagen, es ist Sahra Wagenknecht, die das gesagt hat. Davon halte ich inhaltlich nichts, weil ich auch nicht glaube, dass es richtig ist.
Sondern?
Die Aufgabe der Regierung ist es, ein vernünftiges Gemeinwesen zu organisieren, in dem jeder seine Chancen hat, in dem aber auch Leistung honoriert wird.
Das Zitat stammt vom 4. US-Präsidenten James Madison (1809-17).
Da kann ich sagen, da hat Sahra Wagenknecht gut abgeschrieben.
Sie haben sich vor der TU fotografieren lassen, warum?
Die TU deshalb, weil es meine erste Begegnung mit Darmstadt war. Aber auch, weil ich glaube, dass der Schlüssel zum sozialen Aufstieg in der Stärkung der MINT-Fächer während der schulischen Ausbildung liegt - weg von den geisteswissenschaflichen Fächern. Wir wissen, dass Kinder aus unteren sozialen Schichten mit den Fremdsprachen am Gymnasium die meisten Probleme haben. Das kann man nur kompensieren, indem die MINT-Fächer aufgewertet und die Sprachen abgewertet werden. Ich weiß, dass das sog. Bildungsbürgertum das nicht so gerne hört.
Was war das Blödeste, was Sie jemals politisch gemacht haben? Und das Beste?
Das Beste waren die schon erwähnten Fragen 1976 an Bernhard Vogel. Es hat mir klar gemacht, wie die Mechanik der Politik ist und mir dann einiges erspart. Insofern fällt mir zu Blödem nicht viel ein.
Und privat?
Das Beste war sicherlich die Eheschließung. Und das Blödeste (überlegt), ja, doch, ich hätte mal die Chance gehabt, mich an einem Unternehmen zu beteiligen, dessen Geschäftsführer ich war, das hätte ich mal machen sollen. Damals hab ich mich das aber nicht getraut.
Und jetzt bitte noch einen Satz beenden: Im Gegensatz zu 2016 wird 2017 …
… ein Jahr mit Veränderungen für Darmstadt und für Deutschland.
Gut. Sehr schön. Vielen Dank.
VITA CHRISTOPH HENTZEN
*17. September 1959 in Vallendar, wo er auch aufwuchs. Sein Vater, der bereits 1974 verstarb, war angestellter Jurist, seine Mutter Hausfrau.
Nach dem Abitur 1977 in Bendorf machte er eine Lehre zum Industriekaufmann. Von 1979 bis 1986 studierte er an der TH Darmstadt und der Universität Saarbrücken und schloss als Dipl.-Kaufmann und Dipl.-Ingenieur ab. Von 1986 bis 1990 arbeitete er als Berater bei Roland Berger. 1990 wechselte er zu einer Gießerei-Gruppe und übernahm 1992 erstmals Verantwortung als Geschäftsführer. Von 1996 bis 2002 war er als Geschäftsführer in der Metallgesellschaft tätig, von 2002 bis 2004 als selbstständiger Unternehmensberater. Seit 2004 ist er kaufmännischer Geschäftsführer eines Unternehmens in der Region. 2007 hat er die Initiative Technikschule Darmstadt ins Leben gerufen, die ergänzenden Unterricht in den MINT-Fächern an Darmstädter Grundschulen organisiert und finanziert.
Er ist verheiratet und hat vier Kinder zwischen zwölf und 20 Jahren.
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