Hartmut Müller kennt den Darmstädter Wald wie kein anderer. Er weiß, wie er behandelt werden will, wo seine Schwachstellen liegen und wo er irgendwann möglicherweise gänzlich verschwinden wird. Er weiß aber auch, dass Hoffnung besteht. Im Interview berichtet er über die Bedeutung der Wälder für die Bevölkerung, die Aufgaben des Forstamts und darüber, wie es um unseren Wald wirklich steht.
FRIZZmag: Förster ist ein Berufswunsch, den man nicht so oft hört. Wann entstand bei Ihnen das Interesse an diesem Beruf und wie kam es dazu?
Hartmut Müller: Ende der 70er-Jahre engagierte sich eine Bewegung in der Gesellschaft stärker für die Natur. In diesen Kreisen habe ich mitgewirkt, mich also schon während meiner Schulzeit für das Thema interessiert. Das war der Auslöser dafür, dass für mich irgendwann feststand, dass ich mit und in der Natur arbeiten möchte. Förster bin ich schließlich eher zufällig geworden, denn ich habe keine forstlichen Vorfahren – es gibt oft richtige Försterdynastien, in denen schon der Urgroßvater, Großvater und Vater als Förster gearbeitet haben. Zu dieser Kategorie gehöre ich ausdrücklich nicht.
Und auf welchem Weg wird man Förster?
Indem man ein Studium der Forstwissenschaften absolviert. Ich studierte an der Georg-August-Universität in Göttingen und schaffte 1987 meinen Abschluss zum Diplom-Forstwirt. Danach absolvierte ich das Referendariat, welches ich mit der großen forstlichen Staatsprüfung abschloss.
Seit 2008 sind Sie im Forstamt in Darmstadt als Leiter aktiv. Für was ist ein Forstamt denn genau zuständig?
Das Forstamt hat einen sehr breiten Aufgabenkatalog. Es betreut nicht nur die Wälder im Bereich der Stadt Darmstadt, sondern auch große Teile des Landkreises Darmstadt-Dieburg. Das Gebiet erstreckt sich vom Melibokus im Südwesten zur Neunkircher Höhe im Südosten, der Grube Messel im Nordosten bis zur Raststätte Gräfenhausen. Das Forstamt hat im Wald praktisch für alle Dinge den Hut auf, das heißt, wir pflegen den Staatswald, der dem Land Hessen gehört. Wir betreuen außerdem Wald von elf verschiedenen Städten und Gemeinden sowie von privaten Eigentümern. Wir ernten Holz, pflegen und pflanzen im Wald. Daneben betreuen wir alle Naturschutzgebiete und „NATURA 2000“-Gebiete mit dem Schwerpunkt Wald. Außerdem bieten wir Waldpädagogische Veranstaltungen in Form von Schulklassen-, Kindergarten- oder Erwachsenenführungen und organisieren Veranstaltungen wie Familienwandertage. Jetzt habe ich jedoch nur die wesentlichen Aufgaben genannt.
Was ist die Intention solcher Führungen oder Wandertage? Hoffen Sie, dass die Menschen dadurch ein besseres Verständnis für Ihre Arbeit bekommen? Denn es gibt ja auch viel Kritik, was die Arbeit des Forstamts betrifft.
Ja, auch das ist eine Motivation. Die Menschen bekommen durch diese Veranstaltungen ein stärkeres Bewusstsein für das, was wir als Förster im Wald tun, aber auch für den Wald selbst. Im Bereich des Forstamtes Darmstadt leben 340.000 Menschen. Wir bekommen im Jahr nur zirka 30 Rückmeldungen von Menschen, die unser Tun an einem bestimmten Ort im Wald infragen stellen. Die Kritik hält sich damit eigentlich für einen Betrieb wie uns, der im Erholungsraum der Bürger:innen arbeitet, absolut in Grenzen. Trotzdem nehmen wir jeden Hinweis ernst. Aber auch wir wollen mit unseren Argumenten ernst genommen werden. Die Menschen engagieren sich heute sehr stark für den Wald. Das Verhältnis zum Nutzen des Waldes und Umgang mit ihm ist allerdings ein Stück weit verloren gegangen. Oft ist es ein eher romantisches Bild, das die Menschen, die uns kritisch anschreiben, von Wäldern haben. Wir arbeiten an den realen Themen des Waldes und versuchen, ihn vor allem in Sachen Klimastabilität zu verbessern. Auch dafür fällen wir Bäume.
Was bedeutet der Wald denn für die Gesellschaft? Wie nehmen Sie das als Förster wahr?
Der Wald hat unterschiedliche Funktionen für die Menschen. Wir Förster sagen manchmal scherzhaft: „Er ist praktisch eine eierlegende Wollmilchsau“. Er filtert das Wasser, er hat Bodenschutz- und Klimaschutzfunktionen, er bietet Tier- und Pflanzenarten, die für uns Menschen wichtig sind, Lebensstätten und er liefert den Rohstoff Holz. Wir als Förster versuchen stets, das Verhältnis all dieser Ansprüche des Menschen an den Wald zu harmonisieren und einen optimalen Nutzen in jedem einzelnen Waldstück zu generieren – das ist unser tägliches Brot. Das kann in einem Waldstück heißen, dass wir es aufgrund seines naturschutzfachlichen Werts zum Urwald werden lassen, in einem anderen Stück bedeutet es, dass wir Holz ernten, um Einzelbäume zu stabilisieren und gleichzeitig einen heimischen, nachhaltigen Rohstoff zu erzeugen.
Wir haben über die Aufgaben des Forstamtes gesprochen, welche Tätigkeiten fallen denn speziell in Ihren Aufgabenbereich?
Insgesamt arbeiten im Forstamt 35 Menschen vom Waldarbeiter über die Mitarbeitenden im Büro bis zu den Revierförstern. Diese Mitarbeitenden muss man finden, aber auch führen – dafür bin ich zuständig. Des Weiteren bin ich Pressebeauftragter, verwalte das Budget und setze Schwerpunkte bei Themen rund um den Wald. Aktuell erstellen wir zum Beispiel ein lokales Naturschutzkonzept für das Forstamt Darmstadt, das bis zum Sommer fertig sein muss. Diese Aufgabe hat z. B. aktuell eine hohe Priorität
Das hört sich nach viel Schreibtischarbeit an. Sind Sie überhaupt noch draußen in den Wäldern unterwegs?
Ich bin 70 % meiner Arbeitszeit im Büro und 30 % draußen. Wenn ich draußen tätig bin, repräsentierte ich das Forstamt bei bestimmten Themen mit Dritten nach außen. Es kommt jedoch auch vor, dass ich gemeinsam mit einer Kollegin oder einem Kollegen einen Waldbereich anschaue, um zu überlegen, wie wir damit weiter verfahren.
Hand aufs Herz: Wie geht es dem Wald? Es gibt immer mehr abgestorbene Bäume und lichte Stellen. Wie sieht die Zukunft der Wälder aus?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt auf den Standort und die Waldregion an:
Wenn der Westwald und der Ostwald Patienten wären, dann läge der Ostwald mit einer Angina, aber guter Prognose im Krankenhaus, wenn wir ihm quasi als Arzt im „grünen Kittel“ helfen. Das heißt, dass wir andere Baumarten einbringen, die Bäume stabilisieren und pflegen müssen. Beim Westwald sieht es anders aus. Ihn sehe ich auf der Intensivstation mit einer eher unsicheren Prognose. Wir versuchen alles, die Waldflächen auch hier zu sanieren, aber in vielen Bereichen sind Neuanpflanzung z. B. aufgrund der Maikäfer-Engerlinge im Boden kaum noch möglich. In Zukunft wird es daher wohl leider so kommen, dass es dort nur in Teilbereichen Wälder mit geschlossenem Charakter geben wird. In Teilen des Westwaldes werden lichte steppenartige Waldbereiche leider die traurige Realität sein.
Das ist sehr traurig zu hören. Kann man als Bürger:in denn etwas tun, um den Wäldern zu helfen?
Ja! Menschen können vor allem dazu beitragen, dass sich das Klima nicht noch mehr verändert, als es zu befürchten ist. Sie können dem Wald das Leben erleichtern, indem sie die von Menschen gemachten Rahmenbedingungen verbessern. Wir müssen immer daran denken. „Wir brauchen den Wald. Der Wald braucht uns als Menschen nicht.“ Ein weiterer Appell, der mir persönlich am Herzen liegt: Im Wald sind viele verschiedene Bürger:innen auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs – hier sollte jeder auf die anderen Waldbesucher:innen Rücksicht nehmen.
hartmut_müller.vita
*1961 in Wetzlar, Studium der Forstwissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen, Abschluss Diplom-Forstwirt, seit 1.2.2008 Leiter des Forstamts Darmstadt, lebt in Hochheim am Main und ist Vater zweier erwachsener Kinder.