© Anna Calvi
Anna Calvi
Mondän wie immer: die Londerin Anna Calvi
Bereits mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum gelang Anna Calvi vor drei Jahren der große Wurf. Weltweit gerieten die Musikjournalisten ob der illustren Klangmelange der Britin in Verzückung und auch zahlreiche Musikerkollegen wie Nicke Cave, PJ Harvey oder Brian Eno zeigten sich begeistert von diesen Songs irgendwo zwischen Blues, Chanson und Flamenco. Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte Anna Calvi nun mit „One Breath“ ihr Zweitwerk, das sie auf großer Europatournee unlängst auch im Frankfurter Sankt Peter vorstellte. Echo Live Redakteur Benjamin Metz traf die Sängerin und Gitarristen dort vor ihrem Konzert und sprach mit ihr über die Liveperformance ihrer Band, den Erwartungsdruck an die neuen Songs und den Wunsch, Filmsoundtracks zu schreiben.
FRIZZ: Im Februar startete deine Tournee zu deinem neuen Album „One Breath“. Wie liefen denn die Konzerte bisher? Ihr hattet bei den ersten Shows im letzten Jahr dem Vernehmen nach einige Schwierigkeiten, weil dein langjähriger Schlagzeuger Daniel Maiden-Wood überraschend ausgestiegen ist.
Anna Calvi: Es läuft wirklich sehr gut. Wir sind jetzt schon eine ganze Weile unterwegs, haben aber immer noch jede Menge Spaß an den Konzerten. Und es ist wirklich schön, jetzt von zwei Alben Songs für die Setliste auswählen zu können. Das gibt den Konzerten irgendwie eine natürlicheren Verlauf, weil ich wesentlich mehr Auswahl habe und das Programm nach ganz verschiedenen Stimmungen zusammenstellen kann. Und es macht enorme Freude, in der neuen Besetzung zu viert zu spielen. Ich glaube, das ist meine bisher schönste Tour, wirklich. Bei der Tour zu meinem Debütalbum hat mir da immer etwas die Dynamik gefehlt, aber jetzt, mit den beiden neuen Musikern (neben ihrer musikalischen Langzeitpartnerin Mally Harpaz komplettieren Schlagzeuger Alex Thomas und Keyboarder Glenn Callaghan mittlerweile Calvis Liveband, Anm. d. Red.) ist es wirklich rund!
FRIZZ: Bei deinen Konzerten bist du Frontfrau und Dirigentin gleichermaßen – das Publikum ist fixiert auf dich und auch die Band passt ihre Einsätze an dich an. Ist das nicht anstrengend, die ganze Zeit so im Fokus zu stehen?
Anna Calvi: Ja, das ist schon anstrengend. Aber man bekommt natürlich auch eine Menge zurück, wenn man auf der Bühne steht und das gibt einfach sehr viel Kraft. Und dieses Feedback, die Resonanz des Publikums gleicht auch die Anstrengung sehr gut aus. Und auch hier ist wirklich schön, jetzt noch eine weitere Person auf der Bühne zu haben, denn unser Sound hat sich wirklich sehr entwickelt. Vor allem diese Bass-Frequenzen, die wir vorher so nicht hatten, machen unseren Klang wirklich groß und geben ein gutes Fundament.
FRIZZ: Deine Studioproduktionen klingen ziemlich opulent. Live spielst du allerdings eher reduziert und bringst mit wenigen Mitteln deine Songs rüber. Das hat viel mit Dynamik und Leidenschaft, aber auch mit Stille zu tun und erinnert nicht selten an eine klassische Darbietung. Warum funktioniert diese reduzierte, intime Performance so gut? Die Konzertindustrie entwickelt sicher gegenwärtig ja eher entsprechend dem Motto „Größer, besser, mehr“.
Anna Calvi: Ich glaube, dass solche Konzerte selten geworden sind und nur wenige Bands so mit Dynamiken spielen, wie wir es tun. Die ganz ruhigen Momente sind sehr selten geworden auf Konzerten. Ich denke, dass die Leute einfach fasziniert sind von dieser großen Bandbreite zwischen totaler Stille und diesen expressiven, lauten Momenten. Diese Spannung hält auch den Fokus des Publikums auf der Musik. Die Dynamik kommt auch auf dem neuen Album wieder stark zum Tragen. Denn es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, in der Musik Grenzen auszutesten. Zu sehen, wie weit man gehen kann.
FRIZZ: Dein Debüt war ein riesiger Erfolg. Brian Eno nannte dich „das größte Ding seit Patti Smith“, die Kritiken waren großartig und dir wurde sogar der renommierte Mercury Preis verliehen. Wie hat sich das angefühlt, innerhalb so kurzer Zeit so eine Karriere hinzulegen? Hat sich dein Leben sehr verändert?
Anna Calvi: Mein Leben ändert sich von Tag zu Tag. Das bringt auch das Leben auf Tour mit sich. Man ist einfach so sehr mittendrin in dem Ganzen, dass es einfach schwer ist, mal ein paar Schritte zurückzutreten und sich die ganze Entwicklung anzuschauen. Ich glaube aber, dass das auch ganz gut so ist. Denn wenn ich genauer über die letzten Jahre nachdenke, ist mir das fast ein bisschen unheimlich. Deshalb versuche ich einfach, meinen Kopf frei zu halten und mich einfach auf den heutigen Abend vorzubereiten und gar nicht zuviel nachzudenken. Aber wenn ich dann doch mal die letzte Zeit Revue passieren lasse, fühle ich eine große Dankbarkeit. Dieser Erfolg hat einfach sehr viel mit Glück zu tun. Es gibt so viele Leute da draußen, die wirklich Talent haben, aber keine Chance bekommen. Wenn man so eine Möglichkeit bekommt, muss man wirklich das Beste aus sich herausholen.
FRIZZ: Wie bist du an das neue Album herangegangen? Ist dir das Schreiben neuer Songs leicht gefallen? Ich könnte mir vorstellen, dass du unter einem enormen Erwartungsdruck gestanden hast.
Anna Calvi: Mag sein. Aber entscheidend war und ist für mich immer, dass ich nur das mache, was ich wirklich machen möchte. Das war schon bei der ersten Platte so und auch beim neuen Album habe ich das so empfunden. Du kannst nicht kontrollieren, wie andere Menschen auf deine Musik reagieren. Deswegen ist für mich in allererster Linie wichtig, dass ich etwas produziere, hinter dem ich absolut stehen und worauf ich stolz sein kann. Und ich bin wirklich zufrieden mit „One Breath“.
FRIZZ: Als Vorbote für dein neues Album hattest du einen beeindruckendes Video zur Single „Sing To Me“ drehen lassen. Der Clip wirkt wie ein opulenter Kinofilm und der Song hat ebenfalls Soundtrack-Charakter. Wäre das as für dich – Filmmusik schreiben? Welche Art von Film müsste das sein?
Anna Calvi: Ja, das wäre wirklich interessant. Ich wäre wohl sehr angetan von einem Film, der vor allem visuell beeindruckend ist. Damit meine ich allerdings nicht diese ganzen digitalen Tricks, sondern mehr Szenen wie aus dem Trailer, den du eben angesprochen hast. Den Trailer zu drehen war übrigens eine wirklich schöne Erfahrung. Wir sind Mexiko umhergereist und haben dann diese beeindruckende Landschaft in der Nähe von San Miguel entdeckt und Emma (Nathan, englische Filmemacherin und Fotografin, die bereits des Öfteren mit Calvi zusammengearbeitet hat, Anm. d. Red.) hat das dann innerhalb eines Tages gedreht.
FRIZZ: Deine Vorbilder sind unter anderem Claude Debussy, David Bowie, Edith Piaf und Jimi Hendrix und auch deine Musik arbeitet viel mit Sounds der Vergangenheit. Immer mehr Musiker orientieren sich mittlerweile an alten Bands und arbeiten mit Vintage-Equipment. Warum gehen so viele Bands bei ihrer Suche nach dem eigenen Sound so tief in die Vergangenheit?
Anna Calvi: Gute Frage, ich weiß es nicht. Ich kann für mich allerdings sagen, dass mich diese ganzen „musikalischen Ären“ nicht wirklich interessieren. Ich bin einfach nur an guter Musik interessiert (lacht). Und daher beeinflussen mich die unterschiedlichsten Sachen von ganz alt bis sehr neu. Da hat sich aber auch durch das Internet sehr viel verändert. Man kann so viel Musik entdecken und neue Inspirationen sind nur einen Klick entfernt. Da gibt es schon eine Kultur, wiederentdecktes Altes zu etwas Neuem zu verarbeiten. Leider geht es jedoch in der Musikindustrie viel zu oft darum, was neu ist und nicht darum, was gut ist.
FRIZZ: Du hast früher sehr auch sehr gerne gemalt und gezeichnet, dich dann aber voll und ganz für die Musik entschieden. Bereust du diese Entscheidung manchmal? Hätte es denn andere Optionen für dich gegeben als die Musik?
Anna Calvi: Nein, ich habe definitiv die richtige Entscheidung getroffen. Ich bin sicher eine bessere Musikerin als Malerin. Ich denke auch, dass es deutlich schwerer sein dürfte, als Malerin erfolgreich zu sein. Da muss man schon sehr zäh sein. Eine Alternative wäre vielleicht die Psychologie. Meine Eltern sind beide Psychologen und mich hat die menschliche Psyche schon immer fasziniert. Das wäre etwas für mich, wenn ich irgendwann zu alt bin, auf der Bühne zu stehen und keine Stimme mehr habe. Das dürfte aber noch eine ganze Weile dauern (lacht).
FRIZZ: Vielen Dank für das Gespräch.
Anna Calvi - "Jezebel (Live)"
Anna Calvi - "Jezebel (Live)"
Weitere Infos: