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Deutsches Derby Hamburg
Letztjähriger Einlauf: Markus Klug (vorne) gewinnt mit „Windstoß“ das 148. Deutsche Derby in Hamburg-Horn für das Kölner Gestüt Röttgen.
Im Jahr 1855 begann der Bau der Pferderennbahn im Dorf Horn, östlich von Hamburg. Seit 1869 wird dort das Derby gelaufen. Bereits ein Jahr nach Erstaustragung entstand hier in einer Bretterbude Deutschlands erster Totalisator. Die lange Tradition von Pferdewetten hat auch im Zeitalter des Internets nichts von ihrer Faszination verloren. Horn ist das bedeutendste und spannendste Rennen des Jahres im deutschen Galopprennsport geblieben. Schließlich kann ein Rennpferd dieses Event nur einmal gewinnen: im Alter von drei Jahren. Nicht jeder Gaul darf freilich laufen, nur die Besten qualifizieren sich. Zumal die Teilnahme immerhin stolze 7500 Euro kostet, das sogenannte Nenngeld.
Wer nicht beim ersten Nennungsschluss dabei war, kann sein Pferd später nachnennnen lassen. Dann wird es allerdings teuer. 65 000 Euro sind für „Spätbucher“ fällig. Schließlich ist das Derby auch das höchstdotierte Rennen im deutschen Turf. Die Spannung wird spürbar, wenn sich die Startboxen öffnen und die Derbykandidaten zum ersten Mal an den mächtigen Tribünen vorbeidonnern. Dann erwächst aus dem Summen der Zuschauermassen der berühmte „Hamburg-Roar“. Der Mischung aus lautstarker Zuschauer-Anfeuerung und donnerndem Trommelwirbel der galoppierenden Hufe kann sich so leicht kein Außenstehender entziehen.
Die Pferde und Jockeys kämpfen immerhin um die wichtigste und begehrteste Trophäe im deutschen Galopprennsport, es ist der Fight um das Blaue Band. Nach 2400 Metern und knapp zweieinhalb Minuten wird der Jubel kurz vor Zieleinlauf ohrenbetäubend. Und nach der Entscheidung werden Jockey, Pferd, Trainer, Besitzer und Züchter von einer Welle der Begeisterung getragen. „Es gibt für einen Jockey nichts Schöneres, als nach dem Derby zwischen den beiden Schimmeln als Sieger vom Geläuf zu kommen“, erinnert sich Hein Bollow, der sowohl im Rennsattel als auch als Trainer die magische Grenze von eintausend Siegen knackte. Viermal habe er das erleben dürfen, 1953 mit „Allasch“, 1954 mit „Kaliber“, 1956 mit „Kilometer“ und 1962 mit „Herero“: „Es war ein unbeschreibliches Gefühl“. Ein Sieg als Trainer 1974 mit „Marduk“ rundete Bollows persönliche Derby-Bilanz ab.
Pferderennen sind nicht nur spannende Sport-Veranstaltungen und attraktive Events in freier Natur für die ganze Familie, sondern auch Leistungsprüfungen für die Vollblutzucht. Das Ziel heißt: Nur mit den schnellsten und gesündesten Pferde sollte gezüchtet werden. Dafür stellen die Pferderennen eine Auslese dar. Es sei „die Erfüllung eines Lebenstraums“, bekennen Züchter und Besitzer wie Hans-Hugo Miebach, der 2002 mit „Next Desert“ seinen ersten Derbysieger in den eigenen blau-weißen Rennfarben vom Geläuf holen durfte: „Und es ist umso schöner, wenn man das Pferd selbst gezüchtet und viele Jahre lang auf diesen Moment hingearbeitet hat.“ Viele hatten weniger Glück. Obgleich auf allen Rennplätzen der Welt höchst erfolgreich, fehlt ihnen der Derby-Sieg in der Bilanz. Es sei eben auch „das verrückteste Rennen der Welt“. So jedenfalls urteilte die Trainerlegende Heinz Jentzsch. Er muss es wissen, schließlich sattelte er von 1969 mit „Don Giovanni“ bis 1994 mit „Laroche“ gleich acht Derbysieger. Nur einer war noch besser: George Arnull mit neun Siegen - allesamt für das Gestüt Schlenderhan, das sich sage und schreibe achtzehnmal in die Siegerlisten eintragen durfte. Zuletzt 2009 mit „Wiener Walzer“.
Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre: Zwischen Prestige und Pleite.
Die Geschichte des Derbys ist nicht nur die Geschichte des wichtigsten Rennens in der deutschen Vollblutzucht, es ist auch ein Stück Kulturgeschichte. Zwei Weltkriege hat die Rennserie überdauert, fünfmal musste es deshalb von Hamburg-Horn aus umziehen: 1919 nach Berlin-Grunewald, 1943 und 1944 nach Berlin-Hoppegarten, 1946 nach München-Riem und 1947 nach Köln. Aber Hamburg ist natürlich die Heimat dieses unvergleichlichen Rennens geblieben.
Es war im Jahre 1867, als der damals noch junge Hamburger Renn-Club eine Entscheidung fällte, die weitreichende Folgen für den Rennsport nicht nur in der Hansestadt haben sollte. Die leitenden Herren des Vereins, der 1852 zunächst in Wandsbek gegründet wurde und ab 1855 im Ortsteil Horn Rennen durchführte, hatten eine revolutionäre Idee: Ein großes Rennen sollte geschaffen werden, mit langem Nennungsschluss, ein Derby für dreijährige Pferde nach englischem Vorbild, das zunächst einmal nur Norddeutsches Derby heißen sollte.
Einunddreißig Nennungen wurden am 1. November 1867 für das im Jahr 1869 vorgesehene Rennen für jeweils 25 Reichstaler abgegeben - für den Renn-Club beinahe etwas enttäuschend, war doch die Vorlaufzeit für damalige Verhältnisse schon erheblich. Das erste Norddeutsche Derby wurde schließlich unter enormen Zuschauerzuspruch am 11. Juli 1869 gelaufen. Fünf Pferde gingen an den Start, „Investment“ im Besitz des damals 29-jährigen Ulrich von Oertzen, einem späteren Reichstagsabgeordneten, setzte sich als Favorit durch, sicherte seinem Eigner knapp zweitausend Reichstaler, der zweitplatzierte „Rabulist“ verdiente demgegenüber bescheidene einhundert.
In den ersten Jahren waren ausschließlich „Pferde in den zum Norddeutschen Bunde gehörenden Staaten und Landestheilen“ zugelassen, ab 1872 durften dann aber alle deutschen Pferde mitlaufen - erstmals auch jene aus der Staaten-Monarchie von Österreich und Ungarn. Doch erst 1889, als mit „Uram-Batyam“ ein in Budapest trainiertes Pferd gewinnen sollte, hieß der Wettkampf offiziell „Deutsches Derby“.
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Deutsches Derby Hamburg
Bringt nicht nur die Pferde auf Trab: der berüchtigte „Hamburg-Roar“ lässt die Zuschauermassen erbeben.
Dass das Rennen sich schnell als ein Highlight der deutschen Rennsaison etablieren sollte, war absehbar. An der Alster gab es stets - bis auf wenige Ausnahmejahre - das meiste Geld zu verdienen. Ein Faktor, der bis heute verfängt. 1890 standen bereits 38 000 Mark als Dotierung über dem Derby, draufgeschlagen wurden noch die Nenngelder. So konnte der Besitzer des damaligen Siegers „Dalberg“ mit 57 200 Mark eine Rekordsumme mit nach Hause nehmen. Was auch daran lag, dass der vom Staat zunächst misstrauisch beäugte Totalisator legalisiert wurde, die Buchmacher hingegen keinen Zutritt mehr zur Bahn bekamen. Vorläufig jedenfalls.
In jenen Jahren wurde das Derby von den Pferden des Hauptgestüts Graditz geprägt, die von 1886 bis zum Ende der staatlichen Pferdezucht zwölfmal in Horn gewinnen sollten. Einen regelrechten Boom erlebte das Sportereignis mit seinen ungezählten Renntagen zu Beginn des zweiten Jahrtausends. Schon 1897 war das Preisgeld auf üppige 100 000 Mark emporgeschnellt. Der Kaiser kam auf die Bahn und wurde Stammgast, gesellschaftlich wurde der Derbytag für die internationale High Society immer mehr zu einem Synonym für Glamour und Reputation. Sportlich forderten derweil die Pferde aus dem Gestüt Schlenderhan im Besitz des Freiherrn von Oppenheim die Graditzer immer mehr heraus. Von „Sieger“ 1908 bis „Wiener Walzer“ 2009 sollten es zwei Dutzend Derbysiege werden - kein Gestüt konnte sich öfter in die Siegerlisten eintragen.
Der Kaiser kam nach Horn, die Jockeys wurden gefeiert wie heutige Fußballstars.
Der Erste Weltkrieg konnte den Aufschwung des Rennsports kaum stoppen. Noch 1912 hatte der Renn-Club knapp eine Million Mark in die Anlage und eine neue Tribüne investiert. Trotz der Kriegswirren wurde weiter eifrig gewettet, erst 1919 musste das Derby wegen revolutionärer Unruhen in Hamburg kurzfristig nach Berlin-Grunewald verlegt werden.
Das Derby wurde aber auch zum Spielball der Geldentwertung. 1923 war es offiziell mit 80 000 Mark ausgeschrieben, war jedoch aufgrund der Inflation und unter dem Einfluss der Multiplikatoren urplötzlich 80 Millionen Mark wert. Tags drauf rang die Wirtschaftskrise den Buchmachern einen ernüchternden Blick auf die Zahlen ab: Im November jenes Jahres betrug das Vermögen des Hamburger Renn-Clubs noch sagenhafte 3671 Billionen Reichsmark, doch als die Rentenmark eingeführt wurde schrumpfte die Kasse plötzlich auf läppische 3671 Mark zusammen.
Das alles konnte den Boom im Turf nicht aufhalten: Weinberg, Oppenheim, Haniel, das waren die führenden Besitzer. Ernst Grabsch, Everett Haynes und der junge Otto Schmidt hießen die Stars im Sattel. Die Derbysieger hörten auf die Namen „Ferro“, „Graf Isolani“ oder „Alba“. Die Gäule und deren Jockeys waren bekannt wie heute nur Fußballprofis. Auch die Machtergreifung der Nationalsozialisten bedeutete fürs Erste kein Ende des galoppierenden Aufschwungs. Die proletarischen Braunhemden - obgleich vom Rennsport-Adel geschnitten - zeigten sich unerwartet angetan vom Turf. Die Annektierung des Gestüts Schlenderhan brachte dann aber die ideologische Wende und den zivilisatorischen Bruch in der Vierbeiner-Szene. Stuten prägten den Schauplatz jener Jahre, „Nereide“ und „Schwarzgold“ werden noch heute als „Wunderpferde“ bezeichnet.
Eine gewaltige Zäsur bedeutete der Zweite Weltkrieg. 1945 fiel das Derby aus, in den Jahren darauf wurde es in München und Köln ausgetragen, erst 1948 kehrte es in die Hansestadt zurück - und mit „Birkhahn“ gewann auch gleich ein ganz Großer der deutschen Vollblutzucht. Aber die fünfziger und der Beginn der sechziger Jahre waren in Horn bereits geprägt von finanziellen Problemen. Das Besucherinteresse am Derbytag war zwar enorm - es wurden über 50 000 Besucher gezählt - doch der gesellschaftliche Rahmen blieb selbst in den Jahren des boomenden Wirtschaftswunders überschaubar. Erstmals kam der Gedanke auf, das Event woanders zu etablieren. Köln galt als Favorit.
Immerhin ging es mit dem Preisgeld nach oben. 100 000 D-Mark standen über der Rennserie 1956, das Pferd „Kilometer“ unter dem Publikumsliebling und „Hamburger Jung“ Hein Bollow gewann. Trotzdem blieb die monetäre Lage des Renn-Clubs bis Ende der Sechziger prekär. Erst 1969, als „Don Giovanni“ im hundertsten Derby die Nüstern vorne hatte, gab es Licht am Ende des Tunnels. Am Derbytag wurden über zwei Millionen Mark gewettet, erhebliche Einnahmen flossen durch Eintrittsgelder. Deutschland erlebte in den Folgejahren einen regelrechten Turf-Boom, Preisgelder und Wetteinnahmen stiegen in vorher nicht gekannte Höhen. Als sich 1977 der spätere Deckhengst-Star „Surumu“ im kopfstärksten Derbyfeld aller Zeiten gegen dreiundzwanzig Gegner durchsetzte, konnte die stolze Gewinnsumme von 424 600 Mark verbucht werden, der Umsatz schrammte allein in diesem Rennen knapp an der Millionen-Marke vorbei. Mitte der Achtziger wurde das Derby erstmals mit einem Wirtschaftsunternehmen als Partner gelaufen. Seit 2017 hört das Deutsche Derby auf den Namen eines magenschonenden Produkts eines bekannten Hamburger Kafferösters.
Die Namen der Stars haben sich inzwischen geändert, heute sind Andrasch Starke oder Eduardo Pedroza die Publikumslieblinge im Rennsattel. Herausragender Besitzer des neuen Jahrtausends war der Stall Blankenese um den langjährigen, im November 2008 verstorbenen HRC-Präsidenten Franz-Günther von Gaertner, der das Derby gleich dreimal gewinnen konnte: mit den Brüdern Samum (2000) und Schiaparelli (2006) und mit dem Samum-Sohn Kamsin (2008). Die großen Zeiten der Achtziger und Neunziger des vorherigen Jahrhunderts sind nun fast schon verblichen, doch die Magie des Derbys überstahlt alles - seit nunmehr eineinhalb Jahrhunderten.
Das Deutsche Derby (So., 8.7.) ist der krönende Abschluss eines Meetings, das aus insgesamt sieben Renntagen besteht. Bereits ab 30. Juni gibt es an der Alster hochklassigen Pferdesport zu bestaunen. Einen Dresscode gibt es übrigens nicht, die Galopp-Community ist bunt und vielfältig. Horn ist schließlich nicht Ascot, wo die Queen residiert und die sogar die Hutgrößen festgelegt sind. Wer in Jeans und T-Shirt kommen will, der darf das gerne tun. Aber: Schickmachen ist natürlich erlaubt! Die Galopprennbahn Hamburg-Horn liegt, wie es der Name schon vermuten lässt, im Stadtteil Horn im Osten der Hansestadt an der Rennbahnstraße 96. Gäste sollten bevorzugt mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, da an der Rennbahn selbst leider nur begrenzt Parkplätze vorhanden sind. Die U-Bahnlinie 2 fährt direkt bis zum Austragungsort, Station „Horner Rennbahn“. Bei den Bus-Linien 23 oder 160 (nur an Wochentagen) steigt man an der Haltestelle „Tribünenweg“ unmittelbar hinter der Haupttribüne aus.