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… setzen die monatlichen Buchempfehlungen aus Darmstadt. Seit 1952 trifft sich regelmäßig eine unabhängige Jury aus Schriftstellern, Journalisten und Literaturkritikern, um aus der Vielzahl der Neuerscheinungen ein Buch besonders hervorzuheben.
Mit der Auszeichnung soll diesen Büchern zu einer größeren Verbreitung verholfen werden. Dabei fällt die Wahl nicht unbedingt auf literarische Bestseller, manches Buch wurde durch die Auszeichnung „Buch des Monats“ erst erfolgreich.
Aktuell gehören der Jury an:
Peter Benz, Michael Braun, Oliver Jungen, Hanne F. Juritz, Adrienne Schneider, Prof. Dr. Wilfried F. Schoeller, Dr. Tilman Spreckelsen, Dr. Gerhard Stadelmaier, Dr. Hajo Steinert, Wolfgang Werth.
Begründung der Jury
„Jack the Ripper“ gilt als einer der brutalsten Serienmörder aller Zeiten. Er brachte 1888 in London innerhalb von neun Wochen fünf Frauen auf grausamste Weise um. Weil er nie gefasst oder identifiziert werden konnte, wurde er zu einem zweifelhaften Mythos, wurden er und seine Morde Gegenstand künstlerischer Bearbeitungen und touristischer Führungen durch London.
Hallie Rubenhold ist der Mythos von Jack the Ripper herzlich egal. Die US-amerikanische Historikerin, die sich auf englische Geschichte spezialisiert hat und heute in London lebt, erzählt Geschichte neu, indem sie die Geschichten der fünf ermordeten Frauen erzählt.
Sie rekonstruiert die verschiedenen Armut-Milieus im viktorianischen London und macht anhand der Schicksale von Mary Ann, genannt „Polly“ Nicolls, die im Londoner Druckereiviertel aufwuchs, von Annie Chapman, Catherine Eddowes, Elizabeth Stride und Mary Jane Kelly deutlich, dass die Lebenswege dieser Frauen keineswegs vorbestimmt waren. Biografische Einschnitte, manchmal gar Zufälle, führten sie in die Obdachlosigkeit, den auch damals weit verbreiteten Alkoholismus und machte sie damit letztlich zu einer leichten Beute des Mörders.
Alle fünf Lebensgeschichten, die Rubenhold im Laufe dreier Jahre akribisch recherchiert und durch Dokumente zur Sozialgeschichtsschreibung der Zeit und einen Bildteil ergänzt hat, veranschaulichen, welcher Willkür und Gewalt insbesondere Frauen im explosionsartig wachsenden London des 19. Jahrhunderts ausgeliefert waren, wie gering ihre Chance auf ein selbstbestimmtes Leben war.
Hallie Rubenhold verschiebt die Perspektive weg vom Täter hin zu den Opfern. Empathie und Verve sprechen aus ihrem Buch, das nicht nur Dokument eines unideologischen Feminismus ist, sondern auch ein Exempel, wie lebendig und engagiert Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit vermittelt werden können. Indem Rubenhold mit dem Mythos „Jack the Ripper“ aufräumt, widerlegt sie auch das Klischee von einer im Staub der Vergangenheit uninspiriert vor sich hin werkelnden Historikerzunft.
Beate Tröger (im Namen der Darmstädter Jury Buch des Monats)