© Frank Hempel
Volk im Schloss
Hofft nach der Dornberger Absage auf ein Stelldichein in 2024: Zur großen Jubiläums-Tour möchte der Drei-Sterne-Unterhalter Markus Maria Profitlich dann das Beste servieren, was seine Gag-Küche in fünfunddreißig Jahren angerichtet hat.
Eigentlich wollten wir an dieser Stelle etwas über das Groß-Gerauer Gastspiel des lebensklugen Entertainers Markus Maria Profitlich (Foto) schreiben, der die Spuren seiner Parkinson-Erkrankung nicht zu kaschieren versucht, sondern lieber als Drei-Sterne-Unterhalter mit feiner Zunge auf Kabarett-Brettern steht. Doch dann wurde nicht nur Profitlichs Auftritt, sondern kurzentschlossen das Gesamtprogramm von „Volk im Schloss“, das für das letzte Augustwochenende terminiert war, gekippt. Nun ist die Aufregung groß, doch ganz unvorbereitet wird es die Festival-Verantwortlichen rund um Schloss Dornberg wohl nicht getroffen haben.
Tatsächlich hat das Regierungspräsidium Darmstadt als zuständige Aufsichtsbehörde den Entwurf des Haushalts, der 2023 im Ergebnishaushalt ein Defizit von 23 Millionen Euro aufwies, als „nicht genehmigungsfähig“ eingestuft und bereits im März an den Kreistag zurücküberwiesen. Unterdessen habe man nachjustiert und den für die Genehmigungsfähigkeit notwendigen Anpassungsbeschluss, den Vorgaben entsprechend, „auf den Weg gebracht“, so Thomas Will. Gewiss müsse man improvisieren, so der Landrat weiter. So gut es geht versuche man, freiwillige Leistungen und Maßnahmen an das Jahresende 2023 zu schieben, um die Kriterien eines genehmigten Haushalt zu erfüllen: „Natürlich weiß ich um die herausragende Bedeutung des Festivals für die Kultur und den sozialen Zusammenhalt im Kreis. Aber in den Monaten, da der Kreis mit der vorläufigen Haushaltsführung arbeiten muss, sind mir die Hände gebunden.“
Defizitäres Zahlenwerk ein „Hilfeschrei des Kreises“.
Aktuell betroffen ist nicht nur „Volk im Schloss“. Rund einhundert Maßnahmen und Projekte, die nicht durch Sponsoren gegenfinanziert sind und ein Volumen von rund einer halben Million Euro haben, fallen dem Rotstift zum Opfer. Die finanzielle Situation sei im Kreis Groß-Gerau, so konstatierte der Landrat bereits im Dezember, „miserabel“. Dies sei aber nicht nur hier, sondern in vielen anderen Kreisen und Kommunen in Hessen so. Als „Hilfeschrei des Kreises“ hat der Hauptverwaltungsbeamte das defizitäre Zahlenwerk, im Gleichklang mit dem Ersten Kreisbeigeordneten Adil Oyan, bezeichnet - nicht ohne dabei reflexartig große politische Narrative zu bemühen: „Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir die Regeln eines fairen Finanzausgleichs dringend politisch diskutieren müssen.“ Übersetzt heißt das: Der Kreis und die Kommunen haben sich redlich bemüht, schwitzen nun dennoch unverschuldet unter der geldlichen Trostlosigkeit, die ihnen der Bund und das Land eingebrockt haben.
Darf man es sich so einfach machen? Warum es Kommunen und Kreise in der prosperierenden Handels- und Infrastrukturregion Rhein-Main-Neckar nicht gelingt, fiskalpolitisch halbwegs auf eigenen Füßen zu stehen, gehört zu den großen ungelösten Rätseln im europäischen Schengen-Raum. Derzeit liegen die zehn wirtschaftlich erfolgreichsten Land- und Stadtkreise Deutschlands in den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Der erfolgreichste Landkreis ist Pfaffenhofen an der Ilm, Regensburg und München sind die einzigen Städte in einem Ranking des Prognos-Institut, demnach Orte und Landstriche, die vor Jahrzehnten kaum jemand als Boomregionen etikettiert hätte. Deutschland wächst in Sachen Zukunftschancen enger zusammen, der Abstand zwischen dem Spitzenreiter und dem Letztplatzierten wird seit Jahren spürbar geringer. Hauptgründe dafür sind das Bevölkerungswachstum gerade auf dem Land. Warum die Standortvorteile im Brachland von Leipzig mittlerweile geldwerte Früchte tragen, während sie im Speckgürtel von Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt jämmerlich verwelken, das sollte Wills Gefolgsleuten Sorgenfalten bereiten. Und alle gesellschaftspolitischen Kräfte ermuntern, konstruktiv nach Erklärungen zu suchen und gegenzusteuern.
Absage sei eine „Missachtung gegenüber Kulturschaffenden“, sagt die CDU.
Statt auf quartalsweise eintrudelnde „Anpassungsbeschlüsse“ überbehördlicher Kuratorien zu warten oder auf einen ergiebigen Geldregen nach dem Gießkannenprinzip zu hoffen, sollte man im südhessischen Mittelzentrum weniger den schwarzen Peter ausspielen, dafür klugerweise die politische Debattenkultur nachschärfen. Wichtige Diskussionspunkte könnten das Bevölkerungswachstum, die Arbeitslosigkeit, die Geburtenrate oder die Kosten auf dem Wohnungsmarkt im Vergleich zum Einkommen sein - bei diesen Indikatoren ist man südlich des Mains schon länger nicht mehr wettbewerbsfähig. Und was sagt Marcus Kretschmann, Vorsitzender der Groß-Gerauer CDU-Kreistagsfraktion? Er hätte das Festival nicht abgesagt, auch weil er es als eine Missachtung gegenüber Kulturschaffenden, beteiligten Vereinen, Wirten und Unternehmen“ sieht. Klingt als Parteifolklore erst mal drollig, wirkt als Nachklapp natürlich so vergiftet wie verlogen. Früher hatten sich konservative Mandatsträger immerhin noch zu dem Bonmot über vermeintlich zügellose Sozialdemokraten hinreißen lassen, die noch jenes Geld leichtfertig auszugeben bereit waren, das sie bekanntermaßen nie hatten. Jetzt freilich steht der eher linke SPD-Mann Will mit einmal als knausernder Kulturbanause mit dem Rücken zur Wand, während sich marktliberale Volksvertreter in den planwirtschaftlichen Überbietungswettbewerb verabschiedet zu haben scheinen, in dem nach marxistischer Lesart alte Schulden bereits durch die Aufnahme von neuen Schulden getilgt würden - verkehrte Welt.
Der verpeilte und amtsklamme Landrat mag die Schuldigen für die finanzielle Misere fälschlicherweise außerhalb seines politischen Aufsichts- und Verantwortungsbereichs verorten - was die Zukunft seines Volk-im-Schloss-Konzeptes anbelangt, so gibt er sich zumindest pragmatisch und verhalten einsichtig. Die sozialen, kulturellen Projekte und Veranstaltungen im Landkreis seien kein Selbstzweck, so Will. Sie weiterhin zu stemmen, „wird keine leichte Aufgabe sein“. Späte Einsichten? Gefahren wurde jedenfalls selten auf Sicht. Warum auch? In der Kulturbranche hat das Stochern im Nebel - bis auf Bundesebene hinauf - Tradition. Der Gestaltungsspielraum bei kulturpolitischen Fragen wird seit jeher dadurch ermessen, dass man sich im Kreis bewegt. Die mangelnde Einsicht in die Notwenigkeit, vernünftig zu haushalten und ordentlich zu sparen, korreliert nicht zufällig mit kulturell-biedermeierlichem Auf-der-Stelle-treten und einem trotzigen „Weiter so“. Politische Verkrustungen in kommunalen Selbstverwaltungsbehörden produzieren jedoch kein künstlerisches Output, sie wecken nur uralte Vorbehalte gegenüber institutionalisierten Vorgaben. Dagegen sichert die Partizipation am ökonomischen Aufschwung erst allen Beteiligen das notwendige Maß an - nicht nur monetärer - Autarkie. Daraus erwachsende Freiheiten und das Bewusstsein, öffentliche Subventionstöpfe nach Pegelstand und nicht etwa auf Verdacht oder politischen Druck zu öffnen, ließe diverseste und mannigfaltigste Kultur-Spielarten abseits des biederen Mainstreams erstrahlen. Betörende Kulturveranstaltungen definieren sich nicht durch Maß und Mitte. Sie polarisieren, begeistern oder verstören aber nur, wenn der Finanzrahmen im Lot ist.
Kultur gibt’s nicht zum Nulltarif. Sie hat einen Preis, der real erwirtschaftet werden muss.
Kunst gibt sich gerne elitär, befreit von jeglicher bürgerlicher Konvention und pekuniärer Zwangsjacke. Umsonst-und-draußen-Festivals sind zurecht beliebt, sie sind aber teuer, weil unterm Strich die Steuerzahlenden über Gebühr geschröpft werden. Bühnenarbeiter, Caterer, Sanitäter und letztlich die Künstler malochen nicht für umme, sie sollen und wollen fair entlohnt werden. Das wird von Besuchern und Medienvertretern häufig ausgeblendet. Zu gerne nehmen wir den Vertrauensvorschuss, den mildtätig gestimmte Kulturdezernenten, rhetorisch geübte Kulturmäzene und empathische Musiker bei Pressekonferenzen oder in Bierzelten einfahren, als alleinigen Maßstab für gemeinwohlorientiertes Handeln. Häufig verschließen wir die Augen oder wundern uns, wenn sich die Herzen von Bürgermeistern und Landräten verdächtig weit öffnen und hinterher die Etats ausgerechnet bei jenen Veranstaltungen auf Kante genäht sind, über die besagtes Personal eigentlich schirmherrschaftlich walten sollte. Die Erzählung vom sexy Event, das die kulturelle Teilhabe sozial Benachteiligter erst ermöglicht, ist sowieso eine Mär - eifrig befeuert von Cliquen populistischer Polit-Darsteller, die nach dem Vorbild von Robin Hood die Rathäuser und Kreistage im Sturm erobern möchten und dabei selten nach dem Preis fragen. Fakt ist: Klingelt es nicht nachhaltig in der Finanzkasse oder bleibt die Wirtschafts- und Kaufkraft hinter den Erwartungen zurück, wie es der Landkreis Groß-Gerau derzeit beispielhaft offenbart, dürfte es auf absehbare Zeit auf einigen Freilichtbühnen in der Region dunkel bleiben. Solch bittere Wahrheiten lassen sich dann nicht mehr versüßen - selbst wenn man sie durch die ideologische Brille betrachtet.
Nach der Absage sind die Veranstaltungsmacher von „Volk im Schloss“ mit der Rückabwicklung des Festivals beschäftigt. Danach möchte man den Blick nach vorne richten. Ziel sei es, den kompletten diesjährigen Programmablauf mitsamt eines ambitionierten Line-Ups ins Jahr 2024 zu transferieren. Aktualisierte Infos findet man hier.