Mutter Utes Vorbehalte fruchten nicht: Gunther will heiraten, aber seine Auserwählte ist nun einmal eine Ausländerin. Eine Isländerin, die ganz andere Götter anbetet und richtige Werte ausschlägt. So eine soll jetzt auch noch zur Königin gekrönt werden? Kriemhild als mögliche Schwägerin ist hingegen begeistert: Endlich kommt ein bisschen Exotik in den burgundischen Mief, eine unverfälscht indigene Kultur, und die wichtigsten burgundischen Werte werde man der Isländerin auch noch eintrichtern.
Als Brünhild aus Island eintrifft, sieht jedoch alles ganz anders aus: Was will eine so hübsche Frau von einem Verlierertypen wie Gunther? Geht es hier etwa um Geld? Oder hat die schöne Eisprinzessin es in Wahrheit doch auf Kriemhilds Prachtkerl Siegfried abgesehen? Mit ihrem Stück „Die Isländerin“ hat die Österreicherin Irene Diwiak den Autorenwettbewerb der Nibelungen-Festspiele aus 2015 gewonnen. Im letzten Jahr feierte das Kammerspiel über Einwanderung und Migration am Rhein Premiere. Diesmal kommt die packende Dreiecksgeschichte für zwei Gastspiele zurück ins Lincoln-Theater. Es ist ein reizvolles Kontrastprogramm zum Hauptstück unter dem Dom, wo der Nibelungenstoff mittlerweile publikumswirksam auf einem LED-Bildschirm, hinter Pulverdampfschwaden und auf einer gigantischen Sandbühne verhandelt wird.
Die junge Wiener Autorin zieht die alte Geschichte aus einer neuen Perspektive auf. Bei ihr machen die drei Frauen Kriemhild (Luise Weiß), Brünhild (Lisa Mies) und Ute (Felicity Grist, Foto) das Spiel um einen Platz im Leben untereinander aus, die Männer tauchen erst gar nicht auf. Treibende Kraft ist die alternde Ute, die Burgund zu neuer Stärke geführt hat, nunmehr aber nur noch Pullover stricken darf. Sie will partout keine Isländerin auf dem burgundischen Königsthron und erzählt Kriemhild wüsteste Schauermärchen über die nordischen Völker. Sie glaubt, dass Brünhild es nur auf Reichtum und Macht ihres Sohnes abgesehen hat, Burgund stehe kurz vor einer „Islandisierung“. Doch Kriemhild wehrt alle Vorurteile ab. Offen und freundlich tritt sie der zukünftigen Frau ihres Bruders entgegen.
Anders als im Nibelungenlied hegt Brünhild keinerlei Aversionen gegen ihren künftigen Mann: Sie lernt eifrig Burgundisch und bereitet sich auf ihre Rolle als Königin vor, indem sie sich in die Verfassung ihrer neuen Heimat vertieft. Was unter Merkels Ägide als erfolgreiche Integration durchgehen könnte, empfindet Kriemhild, eben der Schwägerin noch herzlich verbunden, plötzlich als schmachvolle Herabwürdigung, sieht Brünhild nun als Konkurrentin. Alte Ressentiments brechen auf, das originär Burgundische spielt jäh wieder eine Rolle. Es kommt zum Streit der Königinnen. Den Rest kennt man aus der Geschichtsstunde. Oder aus der Wagner-Oper.
Es ist verblüffend, dass Irene Diwiak ihr Stück geschrieben hat, als die Flüchtlingsthematik noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Sie greift auf witzige Weise alle möglichen Vorurteile auf, zeigt aber auch, dass selbst größtes Bemühen um Integration oft nicht zu Akzeptanz führt. Zwar ist die Aufführung von Regisseur Oliver D. Endreß nicht frei von Klischees und schwelgerischen Ausflüchten in Jungmädchenträume, aber sie verdeutlicht eben auch: Ein zeitgenössisches Relaunch dieses problematischen deutschen Heldenstoffs ist möglich - wenn man gewillt ist, den Mythos auch einmal ruhen zu lassen.