1 von 2
Synagoge Friedrichstraße (Wilhelm Eduard Köhler/Stephan Braden) 1873–76
Fassadenzeichnung der liberalen Synagoge in der Friedrichstraße | ©Darmstädter Synagogenbuch, 1988
2 von 2
Synagoge Bleichstraße (Georg Wickop) 1906
Originalzeichnung der orthodoxen Synagoge in der Bleichstraße von Georg Wickop | ©Darmstädter Synagogenbuch, 1988
„Warum löscht denn niemand die Synagoge?“ weint ein Mädchen beim Anblick des brennenden Gotteshauses. Es war zu spät. Am 9. November 1938 verwüsteten die Nationalsozialisten die Darmstädter Synagogen. Lediglich Postkarten und Architekturskizzen erinnern an die jüdischen Gotteshäuser. Vor der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 gab es in der Darmstädter Altstadt zwei Synagogen, die orthodoxe in der Friedrichstraße und die liberale in der Bleichstraße. Vorläufer war das 1737 eingeweihte Gebetshaus in der Kleinen Ochsengasse. Nach der Spaltung der jüdischen Religionsgemeinschaft 1864 in eine liberale und eine orthodoxe Strömung planten beide Gemeinden auch wegen der stark anwachsenden jüdischen Bevölkerung in Darmstadt zwei neue Synagogen. Die Architekten Wilhelm Eduard Köhler und Georg Stephan Braden orientierten sich bei ihrem Entwurf für die liberale, 1876 eingeweihte Synagoge in der Friedrichstraße am Historismus. Historische Zitate und neuromanische Elemente prägen die eindrucksvolle Architektur der Synagoge mit den vier kuppelbekrönten Ecktürmen. Orientalisch-maurische Elemente stellen den Bezug zum Ursprungsland des Judentums her. Ein markantes Äußeres gab der Architekt Georg Wickop 1906 dem Neubau der orthodoxen Synagoge in der Bleichstraße. Die weithin sichtbare Kuppel und die vier Tonnengewölbe, die den massiven Dachaufbau stützen, prägen den ansonsten eher schlichten Baukörper. Im Innenraum schmücken aufwendige Wandmalereien die Gewölbe. Heute würde man das Bauwerk dem Jugendstil zuordnen, auch wenn Wickop sich strikt dagegen gewehrt hätte. Überflüssiger Zierrat und der Rückgriff auf historische Stilelemente waren für den Traditionalisten kein Thema. Ebenso lehnte er den exzessiven Jugendstil ab, den die Kollegen auf der Mathildenhöhe propagierten. Beide Synagogen wurden am 9. November 1938 von der SA und der örtlichen Bevölkerung geplündert und niedergebrannt. Die Gemeinden fanden ein vorübergehendes Domizil in der ehemaligen Privatklinik des jüdischen Arztes Max Rosenthal in der Eschollbrücker Straße. An die zerstörten Synagogen erinnern heute Gedenkstätten, die Wickopsche ist als virtuelle Rekonstruktion aufbereitet. 1988, zum 50. Jahrestag des Progroms, übernahm die Jüdische Gemeinde Darmstadt ihren Neubau in der Wilhelm-Glässing-Straße. Die Stadt stellte das Grundstück und zahlte die Kosten für den von dem jüdischen Architekten Alfred Jacoby entworfenen Neubau. Die zwölf Buntglasfenster stammen aus dem Atelier des englischen Künstlers Brian Clarke. Zahlreiche großzügige Spenden sorgten für die Finanzierung der Innenausstattung. Der weltbekannte Geiger Yehudi Menuhin gab im Staatstheater ein Wohltätigkeitskonzert. Der Erlös war für den Innenausbau gedacht. Einen Termin im überfüllten Terminkalender des Künstlers besorgte Prinzessin Margaret von Hessen und bei Rhein. Für die Prinzessin würde er „überall spielen“, erklärte Menuhin vor dem Konzert. Seit 25 Jahren arbeitet ein Forscherteam des Fachgebiets Digitales Gestalten der TU Darmstadt an der digitalen Rekonstruktion zerstörter Synagogen. Unter der Leitung von Dr.-Ing. Marc Grellert entstand so eine neuartige Form des kulturellen Gedächtnisses. Die Arbeiten mündeten in der viel beachteten Wanderausstellung »Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion«. Gemeinsam mit der Frankfurter »Initiative 9. November« ist geplant, die Ausstellung dauerhaft am Standort der ehemaligen Synagoge Friedberger Anlage zu präsentieren. Dort zeigt die Initiative in einem Hochbunker Ausstellungen zur NS-Zeit und zum Jüdischen Leben.