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Kaj Fölster
Sie engagiert sich bis heute für Frauen. Sie war AWO-Geschäftsführerin, arbeitete im Hessischen Frauenministerium, war Politikerin und Autorin. Wir sprachen mit der heute 82jährigen über Frauen und Männer, die MeToo-Debatte und Pippi Langstrumpf.
FRIZZmag: Sie haben als Schwedin in Neu-Delhi, Stockholm und Göttingen studiert. 1986 kamen sie nach Darmstadt. Wieso?
Während meines Studiums in Indien lernte ich meinen Mann kennen. Wir zogen 1959 nach Göttingen, wo ich studierte und anfing, politisch aktiv zu werden. Später arbeite ich für die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Das war eine spannende Zeit - eine Menge sozialer Fragen kamen auf. Die frauenpolitische Diskussion war damals sehr heftig, die ersten Frauenbeauftragten wurden eingestellt. Die Stelle in Darmstadt hat mich sehr angezogen. Ich dachte, das will ich versuchen!
Sie waren - neben der verwaltungsinternen - die erste externe Frauenbeauftragte in Darmstadt. Was waren Ihre Aufgaben in dieser neuen Position?
Als Frauenbeauftragte bestand meine Hauptaufgabe darin zu vernetzen: die 43 verschiedenen Frauenverbände, Leiterinnen von Frauenaktivitäten, Frauen in politischen Parteien, andere Frauenbeauftragte. Es galt, ihre Interessen und Anliegen in die öffentliche Diskussion und ins Parlament zu bringen. Ganz nach Clara Zetkin: „Jammert nicht, organisiert euch!“ Die Stimme der Frau musste gehört werden – das funktionierte nur durch Zusammenhalt. Ich musste auch Kontakte pflegen mit Männern in Machtpositionen, dies ging nicht mit Konfrontation, sondern nur mit Sachargumenten. Der damalige Oberbürgermeister Günther Metzger war auch erst sehr kritisch, und blieb es auch.
Wie stand es um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern damals?
Formal war die Gleichberechtigung da, aber lückenhaft. Vieles rund um Frauenthemen wurde tabuisiert und belächelt. Die Rollenverteilung innerhalb einer Familie war immer noch sehr konservativ: Frauen waren für Kinder und Küche zuständig. Sie durften ohne die Erlaubnis ihres Mannes keinen Arbeitsvertrag unterschreiben. Die meisten Mädchen erhielten eine einfache Schulbildung, viele Ausbildungswege waren für sie versperrt, z.B. für Jura. Die Frauen hatten kein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper hatte, siehe Abtreibungsparagraph § 218. Die grauenvolle Geschichte Deutschlands, die eine militärische patriarchale Gesellschaft hervorbrachte, war immer noch maßgebend und prägend in den 80ern. Und zum Teil wirkt dies bis heute. Ich las vor Kurzem mit Erschrecken, dass der Frauenanteil im Bundestag rapide gesunken ist. Ich frage mich, warum es in einem so modernen Land wie Deutschland so langsam vorangeht.
Was treibt Sie an, sich so engagiert für Frauenrechte einzusetzen?
Ich bin so erzogen worden, und alle meine Tanten waren berufstätig. Das fand ich zwar normal, aber während meines Soziologiestudiums wurde mir klar, was da alles zusammenhängt: Machtbefugnisse zwischen Frauen und Männern, der Zustand in der Gesellschaft und die Ungleichheit, dass man keinen Frieden erreichen kann ohne Gleichstellung. Von ihr profitieren beide Geschlechter.
In Ihrem Buch „Sprich, die du noch Lippen hast. Das Schweigen der Frauen und die Macht der Männer“ schreiben Sie über Ihre Mutter, die Friedensnobelpreisträgerin Alva Myrdal. Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrer Mutter?
Meine Mutter starb 1986, ein halbes Jahr, bevor ich nach Darmstadt kam. Damals fing ich an, über meine Mutter zu träumen und begann über das Rollenverhalten in meiner Familie nachzudenken. Das Buch ist eine Art Gespräch über die Geschlechterrollen und zugleich eine Aufarbeitung meiner Trauer. Sie hat es geschafft, Familie, Beruf und Partnerschaft zu vereinen. Meine Mutter hat mich stark geprägt: Sie vermittelte mir, dass man immer etwas ändern kann im Kleinen und Großen, wenn man bereit ist, zu lernen. Steht man vor einem Problem, von denen es genug gibt, muss man etwas machen. Es ist nicht menschenwürdig, aufzugeben, sagte sie. Alva Myrdal war pazifistisch, emanzipatorisch und stets optimistisch. Sie hat uns zur Selbständigkeiterzogen.
Wie ist es, als Tochter einer so starken Mutter aufzuwachsen?
Als ich jung war, war es schwierig, da die Leute in mir meine Mutter gesehen haben. Es war eine Belastung, wenn ich meinen Namen genannt habe. Später, als ich eine eigene Person war, konnte ich Stolz empfinden.
Wir feiern 100 Jahre Frauenwahlrecht. Braucht es im Jahr 2018 überhaupt noch eine Frauenbewegung?
Oh ja. Sehr stark sogar. Es gibt noch immer Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Viele Frauengruppen haben sehr wenig Geld. Eine ökonomische Unabhängigkeit ist ein wichtiger Schritt für die Emanzipation. Die Wirtschaft und Politik sind immer noch Problemfelder, das sieht man am geringen Anteil an Frauen in den Vorständen oder in Führungspositionen. Nicht vergessen sollte man die Migrantenpolitik: In Schweden wird viel investiert in Kinderbetreuung, damit Migrantenfrauen die Zeit haben, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen. Und es ist auch wichtig, sich international zu vernetzen und sich zu solidarisieren.
Sind ihrer Meinung nach Fortschritte in Sachen Gleichstellung erkennbar?
Das ist unterschiedlich. Ich wende für meine Analysen gerne die 3-R-Methode an, ein Art Messlatte. R für Repräsentation: Wie viele Frauen sind beteiligt? R für Ressourcen: Wer kriegt was? Hier geht es um die Verteilung von Geld, Zeit und Raum zwischen den Geschlechtern. R für Realität: Warum ist die Situation so wie sie ist? Warum herrschen diese Machtverhältnisse? Wie lässt sich das verändern?
Die MeToo-Debatte schlug in Schweden, einem Land, das in Sachen Gleichberechtigung fortschrittlich ist, heftiger ein als in Deutschland. Weshalb?
Das ist mir auch aufgefallen. Ich denke nicht, dass es in Schweden mehr sexuelle Übergriffe gibt, sondern dass die Frauen es eher wagen, diese zur Sprache zu bringen. Auch viele Männer befürworten die Diskussion. Die Debatte brachte ein Gesetz hervor, das ein deutliches Einvernehmen im sexuellen Umgang vorschreibt. Dies wurde in Deutschland belächelt, in Schweden überhaupt nicht .
Wenn Sie anlässlich des 100. Geburtstags des Frauenwahlrechtes etwas wünschen könnten, was wäre das?
Ich wünsche oder besser, ich hoffe, dass es Frauen weiterhin bewusst ist, dass sie eine gleichberechtigte Stellung in allen Bereichen haben sollten. Dass sie nicht aufgeben, besonders in der Politik, und nicht zum Schweigen gebracht werden. Ich glaube, dass dies nur funktioniert, wenn Frauen sich organisieren. Man muss junge Frauen ermutigen, kleine „Pippi Langstrumpfs“ zu sein! Dies kommt mehr und mehr - ich bin zuversichtlich.
kaj_fölster.vita
*27.8.1936, in Stockholm, als drittes Kind von Alva Myrdal, Friedensnobelpreisträgerin 1982, und Gunnar Myrdal, erster Leiter der UNO-Wirtschaftskommission für Europa, Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften in Stockholm, drei Kinder. Studium der Sozialwissenschaften in Delhi, Stockholm und Göttingen, Geschäftsführerin der AWO in Göttingen, erste Frauenbeauftragte in Darmstadt, tätig im Hessischen Frauenministerium und als Autorin. 2014 ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse; lebt heute in Stockholm und ist über die Grenzen hinweg politisch aktiv.