© Klaus Mai
Julia Zange
FRIZZ: Hallo Julia, schön dass das geklappt hat. Wollen wir erst mal das mit deinem Geburtsjahr klären. Bei Wikipedia steht 1983 oder 1987, was stimmt?
Julia Zange: 1983.
Und das genaue Datum? Oder ist das ein Geheimnis?
Nö. Der 25.8.
Okay, das ist gerade so eben Jungfrau, oder?
Fast Löwe, ist aber Jungfrau geworden.
Nimmst Du ernst mit Horoskopen?
Nee, ja, also, da stimmt schon immer einiges, aber ich nehms nicht wirklich ernst.
Aber Löwe wär schicker gewesen als Jungfrau?
Ich hab relativ viel abbekommen von der Jungfrau, aber da ist definitiv auch ein bisschen Löwe drin.
Wie lange habt ihr dann gelebt in Darmstadt?
Zwei Jahre.
Und dann? Schule, Abi?
In Bad Hersfeld. Erst in der Gesamtschule Nieder-Aula, dann Abitur in Bad Hersfeld, in der Modellschule Obersberg.
Dann bist Du 2006 nach Berlin. Es gehen ja viele nach Berlin, warum du?
Ich hab erst München ausprobiert, direkt nach dem Abi, hab da Literaturwissenschaften begonnen, kam mit München aber gar nicht klar. Mir war das alles zu verfestigt und konservativ. Ich war auch noch sehr auf der Suche, und Berlin macht mehr Sinn für die Suchenden und nimmt einen mehr in die Arme, es ist mehr möglich. Ich mag München mittlerweile wieder ganz gerne, aber damals war es für mich nicht die richtige Stadt.
Ich hab ja ein bisschen recherchiert über Dich, ich zitier mal: „ ... ein zartes Mädchen in einem weißen Schleierkleid, das aussieht wie eine 17-Jährige und wie eine Elfjährige auftritt.“
Also, ich seh mich so nicht. Ich kann mich damit nicht identi zieren und hoffe, dass sich das Image ändern wird.
Du hast ja ziemlich schnell literarische Erfolge gehabt, Open Mike 2005, 2008, dann dein Debütroman „Die Anstalt der besseren Mädchen“, immerhin bei Suhrkamp. Der schönste Satz, den ich dazu gelesen habe, heißt: „Vielleicht ist dieser Roman das Killerkaninchen unter all den ebenso harmoniesüchtigen wie feminismusfernen Mädchen-Entwürfen.“
Das kenn ich gar nicht, ist aber nett.
Wie hat die Anstalt der besseren Mädchen Dein Leben beeinflusst?
Das war der Grundstein für meine „Schreibkarriere“. Ich hatte das nie in der Form geplant. Ich hab mal einen Kreativschreibworkshop – in München damals – gemacht und wurde wegen eines ganz kleinen Textes von einem Suhrkamp-Autor angesprochen. Die wollten dann gerne einen Roman von mir. Es war also fast eine Auftragsarbeit, natürlich nicht inhaltlich. Das hat einen Kanal frei gelegt und ich hab im Prozess des Schreibens sehr viel über mich gelernt. Wenn ich den Roman jetzt noch mal lese, ist es ein bisschen wie psychoanalytisch, ich kann es entschlüsseln für mich selbst. Und natürlich hat es mir Türen geöffnet in der Kulturszene, in Berlin auch.
„Realitätsgewitter“ ist wieviel Jahre später geschrieben?
Acht.
Und warum beim Aufbau-Verlag erschienen?
Ich bin sehr gut befreundet mit Lina Muzur, einer Lektorin des Aufbau-Verlags, und die meinte: Julia, du musst unbedingt wieder schreiben. Dann hatte ich mit Aufbau eigentlich einen Vertrag über einen Kurzgeschichtenband, den ich herausgeben wollte, zu dem es aber nicht gekommen ist. Dann wurde der Vertrag in einen Romanvertrag umformuliert. Also, es war eigentlich gar nicht geplant, es ist ein bisschen so passiert.
Erfolgreiche Autorin und dann auch noch erfolgreiche Schauspielerin mit der Hauptrolle in Philip Grönings Film „Mein Bruder Robert“. Bist Du lieber Autorin oder Schauspielerin? Und gibt’s hinter den bei- den Rollen noch ne eigentliche Julia?
Ja. Also, erst mal bin ich lieber Schauspielerin. Ich hab das Gefühl, ich schreibe immer, wenn es mir schlecht geht. Ich kann auch nur schreiben, wenns mir schlecht geht. Wenn ich einigermaßen entspannt und ausgeglichen bin, hab ich überhaupt kein Bedürfnis, irgendetwas schriftlich festzuhalten. Wo ich mehr aufblühe und wo es mir besser geht, ist de nitiv das Schauspielen. Das sind die zwei Seiten meiner Persönlichkeit, es gibt eher die introvertierte beobachtende Seite und es gibt die sehr emotionale nach außen gewandte Seite.
Und Julia ist beides zusammen?
Genau, gute Frage (überlegt). Julia ist beides zusammen, und Julia braucht die beiden Plattformen, um ihre Energie loslas- sen zu können. Julia ist schüchterner als die Schauspielerin, die ihre Rolle spielt, oder das Killerkaninchen in der Literatur.
„Realitätsgewitter“ ist ja offenbar ziem- lich autobiogra sch, obwohl ja das ly- rische Ich und der Autor angeblich gar nix miteinander zu tun haben oder sollten ...
... aber immer haben (lacht), das ist reine Theorie (lacht wieder).
Gibts auch einen autobiografischen Anteil in Deiner Roberts-Zwillingsschwester-Elena-Rolle?
Ich glaube, dass man sowohl als Autorin,als auch als Schauspielerin, also generell als Künstler, immer Autobiogra sches mitbringt und dass es das Gute eines Schau- spielers ausmacht, dass man seine persönlichen Erfahrungen ein ießen lässt und natürlich seine Interpretation. Bei Elena ist viel von mir einge flossen. Elena hat sehr viel Wut und hat ein Ablösungsproblem von ihrem Zwillingsbruder, mit dem sie so eng verbunden ist, dass am Ende nur einer überleben kann, weil das Verhältnis der beiden so symbiotisch ist. Das ist de nitiv auch ne Beziehungsform, mit der ich mich identifizieren kann. Ich könnte auch jetzt, 2017, die Rolle nicht mehr so spielen wie 2013/14, als wir den Film gedreht haben, da war ich noch in einer ganz anderen mentalen Ver- fassung, was für die Rolle sehr gut war.
Bist Du wenigstens als Schauspielerin der Stolz Deiner Eltern? Weil, in „Realitätsgewitter“ haben sich Deine Eltern ja offenbar wiedererkannt, waren wohl nicht so amused und haben prompt eine einstweilige Verfügung erlassen. Was geht da in einem vor, wenn die eigenen Eltern gegen einen klagen?
So eine Klage treibt einen fast in den Wahnsinn, tatsächlich. Ich hab das mittlerweile ganz gut ad acta gelegt. Aber letztes Jahr, als der Prozess am Laufen war, war es wirklich ganz schlimm, weil es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Wenn die eigenen Eltern gegen einen klagen, ist die Basis, die ja eigentlich Vertrauen sein sollte, verschwunden. Aber es war für mich ehrlich gesagt ganz hilfreich zu sehen, wie das Verhältnis eigentlich wirklich ist. Es ist ja eine Kriegshandlung fast, so fühlte sich das letztes Jahr jedenfalls an.
Das Gerichtsverfahren hast Du dann ja gewonnen. Warum?
Meine Mutter hatte schon, als ich den Roman geschrieben habe, gedroht, dass, falls ihre Persönlichkeitsrechte tangiert werden, sie mich verklagen würde. Als dann die einstweilige Verfügung kam, hatten wir schon eine Schutzschrift bei Gericht, damit wurde es erst mal ausgehebelt. Dann hat das Gericht am Ende entschieden, dass die künstlerische Freiheit gewährleistet sein muss und dass der Roman so abstrahiert ist, dass die Figuren etwas Allgemeingültiges haben.
Ich zitiere mal wieder ne Kritik: „Eine literarische Kältevermessung. Wenn auch nur etwas von dem, was Julia Zange über die Eltern ihrer Protagonistin schreibt, aus der Erfahrung der Autorin gewonnen ist, dann beneidet man sie nicht um ihre Kindheit. Die Familie wirkt in ihrer neurotischen Kälte wie eine Blaupause zur digital induzierten Gefühlsarmut, die Thema des gesamten Buches ist.“ Was ist mit dem Zitat besser getroffen, das Buch oder Deine Familie?
Das möchte ich nicht sagen (lacht). Aber das ist ein sehr schönes Zitat tatsächlich. Ich fühle die Atmosphäre dieses Buches sehr gut eingefangen (lacht wieder).
Alles klar. Dein drittes, zweites, erstes oder von mir aus auch siebtes Stand- bein ist, Du bist Features Editor bei „L’Officiel“, schreibst frei für „Zeit online“ und „Fräulein“. Sag mal kurz, was L’Officiel ist, kennen ja vielleicht nicht alle.
„L’Officiel“ ist ein Mode- und Lifestylemagazin, was aus Frankreich kommt und dort ein Klassiker ist wie die „Vogue“ und es sogar noch länger gibst, seit 1912, wenn ich mich nicht täusche. Das deutsche Magazin gibt es seit ca. einem Jahr und ich betreue den Kulturteil.
Zwei persönliche Fragen noch: Bist Du Lärche oder Eule?
Eule, definitiv.
Du lebst ja zusammen mit Henri. Wie habt ihr Euch kennengelernt und was schätzt Du so an Eurem Zusammenleben?
Henri ist ein Ebay-Hund. Ebay Kleinanzeigen. Sie hat die Kontaktanzeige aufgeg ben. Henri kommt aus dem Oderbruchgebiet. Ich hatte vor sechs Jahren entschieden, dass ich einen Hund haben wollte, bin dann die Kleinanzeigen nach Hundewelpen durchgegangen und hab ein Foto von Henri gesehen. Also, ich hab noch nie so einen außergewöhnlichen Hund gesehn, sie hatte so leuchtende Augen vom Blitzlicht, sah aus wie ein kleines Hundegespenst und war auch noch die letzte Übriggebliebene im Wurf, alles ein bisschen traurig. Dann bin ich mit dem Zug in den Oderbruch in dieses Dorf gefahren und Henri wurde mir in einem Kofferraum präsentiert, und ich hab sie mitgenommen. Seitdem sind wir unzertrennlich, Henri ist mein Schutzhund, mein Schutzengel und alles ... (lacht).
Also, um es mit Marla aus „Realitätsgewitter“ zu formulieren: Henri ist Gefühl 3.
Mmh, ja, könnte man sagen. Also, Henri hat den Weg zu Gefühl 3 als Schutzhund begleitet, eher so.
Okay, das Eisbein mit Sauerkrautkommt. Danke und guten Appetit.
Vita:
Julia Zange, 1983 in Darmstadt geboren, lebt und arbeitet seit 2006 in Berlin. 2005 gewann sie den Literaturwettbewerb Open-Mike, 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman mit dem Titel „Die Anstalt der besseren Mädchen“. Ihren zweiten, 2016 erschienenen Roman „Realitätsgewitter“ versuchten ihre Eltern per einstweiliger Verfügung zu verbieten. Sie arbeitet als Redakteurin bei „L’Officiel“ und schreibt regelmäßig für „Zeit Online“ und „Fräulein“. Außerdem organisiert sie die Veranstaltungsreihe „Dead Poets Society“ im Soho House Berlin. In Philip Grönings Film „Mein Bruder Robert“, der im Herbst im Kino starten soll, hat sie als Hauptdarstellerin debütiert.